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jankuhlbrodt

Posted on 31.5.2020

Ocean Voung Im letzten Jahr ist Ocean Vuongs Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ erschienen, und breit besprochen worden. Vuong bereiste auch Deutschland und hatte sogar einen kurzen Auftritt in einer ZDF.Kultursendung. Er wurde zum Star, in dem Maße wie Literaten in unserer kurzlebigen medialen Welt zum Star werden können. Eine solche mediale Anerkennung des Autoren und seines Buches, das übrigens im Hanser Verlag in einer Übersetzung von Anne-Kristin Mittag erschienen ist, macht mich für gewöhnlich misstrauisch, zumal die Bücher, die ich für besonders gelungen halte, nicht selten im Betrieb untergehen, oder es gar nicht ins Aufmerksamkeitsmeer schaffen. Vuongs Buch bildete also eine in dieser Hinsicht durchaus erfreuliche Ausnahme. Und es ist ein grandioses Buch. Für mich könnte es die Bedeutung wie seinerzeit „Der Fänger im Roggen“ bekommen. Die Geschichte, die in dem Buch erzählt wird, die der Protagonist seiner Mutter erzählt, er schreibt ihr einen Brief, paradoxerweise aif Englisch, denn seine Mutter ist dem amerikanischen Englisch kaum mächtig, und sie ist Analphabetin, ist einesrseits die Geschichte einer Ankunft von vietnamesischen Einwanderern in den Vereinigten Staaten, andererseits ist es aber auch eine Beichte. Der Protagonist beichtet seiner Mutter seine Homosexualität. Beides sind schmerzhafte Prozesse, und sie enden nicht in einer Harmonie, zumindest dahingehned nicht, dass die ausgesprochenen Probleme, allein aufgrund ihres Aussprechens zu ihrer Lösung führen würden. Die Marginalisierung der Einwandererinnen und des Homosexuellen wird nicht dadurch aufgehoben, dass sie erkannt sind. Aber das Aussprechen führt zu einer Art Trotz, der es dem Protagonisten ermöglicht, den ihm von anderen, aber auch von sich selbst zugefügten Schmerz zu ertragen. Und zu kuriosen fast slapstickhaft wirkenden Situatinen, wie zum Beispiel beim Kauf von Ochsenschwänzen. Was mich am Lesen hielt, und was meinem Leseverhalten nahekommt, war die Struktur der Erzählung, die mener Meinung nach dem geschuldet ist, dass Vuong vor allem auch Lyriker ist. Das Buch ist nahezu strophisch aufgebaut, zergiedert sich in viele einzelne Abschnitte, die fast autonom funktionieren. Im Zusammenhang ergeben sie ein Kaleidoskopisches Bild. Und die Durcharbeitung jedes einzelnen Abscnittes ergibt einen Gesamtsog, dem ich als Leser letztlich lustvoll mich ausgeliefert hatte. In diesem Jahr sind bei Hanser nun sehr schön gestaltet und unter dem Titel "Nachthimmel mit Austrittswunden" Gedichte Vuongs erscheinen, und sie halten, was der Roman versprochen hat. Einzelne Motive, die mir von der Prosa her schon bekannt waren, tauchen wieder auf, werden aber auf eine andere Weise durchgespielt. Die Formenvielfalt die Vuong hier benutzt ist ertsaunlich. Vom Haibunhaften Prosagedicht bis zur klassischen Strophe, vom Zahlenspiel, dass sich in Fußnoten ergänzt, probiert er sich und sein Vermögen aus, ohne dass der Leser das Gefühl bekommt, der Autor würde in der Vielfalt verschwimmen. Und die Themen behalten in verschiedenster Form ihre Dramatik und Scharfkantigkeit. Es ist eben keine beliebige intellektuelle Spielerei, sondern in den Variationen der Erkenntnis und Selbsterkenntnis erhält sich das existenziell Dringliche aber auch das beiläufig verwunderliche wie die Länge eines Schamhaars. Kulturelle Verschiedenheiten, Kampfe, Desaster der Idendität. Verstörend schön. Und die Gedichte sind zweisprachig abgedruckt, und die deutschen Versionen stammen auch wieder von Anne-Kristin Mittag. In einigen Rezensionen zum Band wurde die Leistung der Übersetzerin kritisiert. Das kann man hier überprüfen. Ich sehe diese Übersetzungen als eine Möglichkeit, nicht als das Non Plus Ultra an. Aber letzteres gibt es in der Übersetzung ohnehin nicht. Übersetzungen sind immer Momente eines Ensembles von Möglichkeiten.

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