Jaylinn
Allgemeines: Vront – Was ist die Wahrheit ist Mitte Februar 2020 als gebundenes Buch bei Mixtvision erschienen. Das Buch hat 500 Seiten und wird ab einem Lesealter von 14 Jahren empfohlen. Der Autor, Yves Grevet, könnte dem ein oder anderen von euch bereits durch seinen Roman Méto, der unter anderem für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war, bekannt sein. Ich habe vorher noch nichts von Grevet gelesen, Vront ist mein „Erstling“ von ihm. Obwohl mir die auf dem Cover gewählten Farben nicht unbedingt zusagen, finde ich es sehr stimmig gestaltet. Der Hintergrund erinnert an einen Datenchip, auf dem alle Verbindungen zusammenlaufen. Durch das gewählte grelle Orange werden die Blicke auf das in der Mitte abgebildete V gerichtet, das selbstverständlich für die Vront steht, die eine große Rolle im Buch spielt. Inhalt: „Sie kümmern sich um unsere Gesundheit. Sie sorgen für unsere Sicherheit. Aber der Preis dafür ist unsere Freiheit! Scott ist dieser Preis zu hoch. Mit seinen Freunden hat er die Widerstandsgruppe VRONT gegründet. Sie wollen wieder frei sein. Sie wollen frei sein, sie wollen etwas riskieren, sie wollen LEBEN. Und sie wollen allen zeigen: Es gibt nicht nur eine Wahrheit!“ (Quelle: Mixtvision Verlag) Meine Meinung: Stan lebt in einem nahezu perfekten System völliger Sicherheit. LongLife hat alles unter Kontrolle. Die Firma hat jedem Menschen einen Chip implantiert. Gefahren unterschiedlichster Art werden vom System erkannt, Hilfe in Form von Polizei oder LongLife-Mitarbeitern ist sofort zur Stelle. Kein Mensch kann über die Stränge schlagen, niemand wird gewalttätig und niemandem wird ein Leid angetan. Niemandem? Ihr habt Recht, das klingt nach einer zu perfekten Vorstellung. In der Dystopie „Vront“ treffen wir mitnichten auf eine so heile Welt, wie ich sie eingangs beschrieben habe. Viel mehr lebt Protagonist Stan in einer in meinen Augen bedrohlich klingenden Welt. Wie kann man frei und ungezwungen leben, wenn der eigene Bewegungsradius von den Eltern eingeschränkt und bestimmt werden darf? Wie soll man Kind oder Jugendlicher sein, seine Interessen ausleben und auch mal eine Notlüge erfinden dürfen, wenn LongLife alles weiß? Schnell wird Sicherheit hier zur völligen Kontrolle und zur wirklichen Einschränkung der Grundrechte von Stan und den anderen Protagonisten des Buches. Das ist vielen der handelnden Personen nicht bewusst, da sie sich gerne auf die von LongLife vermittelte Sicherheit verlassen möchten. Doch dann ist da die Vront. Eine Organisation von Jugendlichen, die im Untergrund agiert und gegen die totale Einschränkung der Rechte ist. Die Vront wirkt zunächst wie eine Organisation, die unterstützenswert ist. Aber auch die Vront handelt nicht immer so, wie man sich es vorstellen würde. Dazu möchte ich euch nicht zu viel verraten, lest selbst… Die Grundstory von Vront hat mich mitgerissen und gefesselt. Datenüberwachung, Kontrolle von gesundheitlichen Veränderungen und die Gewissheit, dass der eigene Standort nie unbekannt ist – so etwas bereitet mit Sicherheit nicht nur mir Sorgen. Vor allem die Tatsache, dass viele Menschen so etwas befürworten und unterstützen, hat mich in Vront schockiert. Womit ich weniger zurechtgekommen bin, ist der Schreibstil von Grevet. Ich kann nicht beurteilen, ob er immer so schreibt oder ob es nur in diesem Buch so ist. Die ganze Handlung, die Beziehung zwischen den Protagonisten, selbst zwischen den Brüdern, wirkt so voller Distanz, dass bei mir wenig Identifikation für die Geschehnisse entstanden ist. Grevet erzählt die Ereignisse aus jeglicher Perspektive mit einer solchen neutralen Nüchternheit, dass ich manchmal Schwierigkeiten hatte, weiterzulesen. Vielleicht gefällt ebendieser Schreibstil einem anderen Leser auch sehr gut. Meins war das aber nicht. Grevet vollzieht einige Perspektivwechsel, die aber kaum auffallen. Zunächst berichtet Stan von den Ereignissen, dann (teilweise auch rückblickend auf die bereits geschehenen Ereignisse) sein Bruder Scott und anschließend verschiedene Mitglieder der Vront. Mir ist es nicht gelungen, völlig in einer dieser Perspektiven aufzugehen, vermutlich durch die bereits erwähnte Nüchternheit der jeweiligen Erzähler. Zudem sind die einzelnen Erzählstrange wenig individuell geprägt und wirken dadurch beinahe austauschbar. Insgesamt regt die Geschichte zum Nachdenken an. Darüber, wie weit wir in unserer Technisierung und Digitalisierung bereits fortgeschritten sind und was das auch jetzt schon für die Sicherheit unserer persönlichen Daten bedeutet. Und darüber, dass man eine solche Zukunft wie Grevet sie entwirft auf keinen Fall will. Ich kann mir vorstellen, dass das Jugendbuch auch die eigentlich angesprochene Zielgruppe sehr gut erreichen kann und den ein oder anderen zum Umdenken bewegen wird. Zum Umdenken über den täglichen exzessiven Konsum und das Mitteilen persönlicher Daten über ein Medium, das schon lange nicht mehr so persönlich ist, wie wir denken. Fazit: Ein Buch, das zum Nachdenken anregt. Über das eigene Selbst und den Umgang mit den Begriffen Freiheit, Gesundheit und Sicherheit.