Profilbild von Lenislesestunden

Lenislesestunden

Posted on 23.5.2020

Kennt ihr das, wenn ihr beim Lesen vergesst zu atmen, weil euch die Geschichte so gefangen nimmt, und ihr dann plötzlich ganz, ganz tief Luft holen müsst? So ging es mir mit "Der Wintersoldat" von Daniel Mason. Der Einstieg in dieses Buch fiel mir zunächst nicht so leicht: Kurz vor dem ersten Weltkrieg ist Lucius Medizinstudent in Wien. Er geht vollkommen in seinem Studium auf, gilt als hochbegabt - die ersten Kapitel wimmeln nur so vor medizinischen Fachausdrücken, ein Einblick in seinen Kopf. Mit Beginn des Krieges meldet Lucius sich freiwillig und wird 1914 in ein Feldlazarett in den Karpaten geschickt. Von da an war ich völlig im Lesefluss und hatte mich an den detaillierten, eher anspruchsvollen Schreibstil gewöhnt. Ohne jede praktische Erfahrung ist der zurückhaltende Lucius in dem kleinen Dorf, dessen Kirche zum Lazarett umfunktioniert wurde, auf die Hilfe der Nonne Margarete angewiesen, die mit ihrer zupackenden Art das genaue Gegenteil vom ihm ist. Die Frontlinie rückt jedoch immer näher heran und eine Entscheidung, eine Frage und wenige Augenblicke führen zu dramatischen Folgen für Lucius. Die Beschreibungen des Krieges und des Alltags im Lazarett, der verwundeten, traumatisierten Soldaten, gingen mir sehr nahe. Mein Wissen über den ersten Weltkrieg ist leider recht begrenzt, diese Geschichte hat mir das Leid, das sich in diesen Jahren abspielte, sehr nahe gebracht und gewisse Szenen werde ich mit Sicherheit nie wieder vergessen. Durch den detaillierten, sprachgewaltigen Schreibstil konnte ich die bittere Kälte fast körperlich spüren, die Schreie der Verwundeten hören und gleichzeitig die zarte Liebesgeschichte fühlen, die sich anbahnt. Beim Lesen von "Der Wintersoldat" habe ich alles um mich herum vergessen und wurde ganz und gar in den Sog dieser großartigen Geschichte gezogen. Ein intensives, aufwühlendes Leseerlebnis, das zudem auch noch lehrreich ist. Ganz große Empfehlung!

zurück nach oben