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stephanienicol

Posted on 22.5.2020

"Die Ermordung des Commendatore" ist ein sehr typischer Murakami mit so ziemlich allen gewohnten Elementen des japanischen Romanschriftsteller. Wer sich Überraschungen verspricht, wird eher enttäuscht werden. Der einzige Unterschied zu seinen vorherigen Romanen ist, dass Japan hier eine viel größere Rolle spielt. Während die alten Bücher inhaltlich in jeder beliebigen Großstadt hätten stattfinden können, ist es hier anders. Die Umgebung Tokios und die japanische Kultur sind essentiell für die Geschichte. Interessant, aber da der Rest so typisch Murakami ist, fällt es nicht groß ins Gewicht. Jene, die sich mit Japans Ortschaften und Kultur nicht ganz so gut auskennen, werden trotzdem auf ihre Kosten kommen und der Geschichte gut folgen können. Murakami gibt sich schließlich größte Mühe, alles nachvollziehbar zu erklären. Die Handlung und die einzelnen Elemente haben mich wirklich stark an Murakamis "Mister Aufziehvogel" erinnert. Der Protagonist verliert seine Frau, zieht sich zurück, lebt einsam in einem abgelegenen Haus, findet eine Grube und dann ist da auch noch ein junges Mädchen, das ebenso wie der Protagonist in surreale Begebenheiten eingebunden wird. Haargenau wie in "Mister Aufziehvogel". Überhaupt lässt sich sagen, dass ich beim Lesen nie das Gefühl loswurde, es würde sich bei "Die Ermordung des Commendatore" um ein Best of Murakami handeln. Zu viele vertraute Elemente, zu viele Parallelen zu vorherigen Romanen und zu viele gleiche Schemata. Klingt vielleicht negativ, ist aber eher eine Feststellung, denn trotz all der Ähnlichkeiten ist Murakamis neuester Roman großartig geschrieben und zieht den Leser ab Seite eins in seinen märchenhaften Bann. Und natürlich hält das neueste Werk doch noch ein paar Eigenheiten parat, um sich zumindest ein klein wenig vom Rest abzuheben. Die große Stärke dieses Romans sind definitiv die Charaktere. Murakami kreiert meisterlich eigenartige sowie faszinierende Charaktere, die einem nicht sofort sympathisch sind, jedoch schnell ans Herz wachsen. Dabei sind sie weder als gute noch als schlechte Menschen anzusehen, was sie so unfassbar echt und greifbar macht. Wirklich schön! Weniger gut gefallen hat mir, dass "Die Ermordung des Commendatore" trotz seiner Länge in mir nicht das gleiche Wow-Gefühl ausgelöst hat wie "Mister Aufziehvogel" oder "Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt". Selbst das Ende von "1Q84" fand ich bewegender als hier. Versteht mich nicht falsch - es ist immer noch ein toller Roman mit einmaligen Szenen und großartigen Beschreibungen, aber mir kommt es so vor, als sei die Geschichte am Ende des Tages nur "gut". Das bin ich von Murakamis älteren Werken ein wenig anders gewohnt. Nichtsdestotrotz möchte ich mich bei Frau Ursula Gräfe für ihre hervorragende Übersetzungsarbeit bedanken! Ihre Arbeit ist nicht selbstverständlich und zumindest auf diese Weise rechtfertige ich mir den hohen Buchpreis. Unter'm Strich ist "Die Ermordung des Commendatore" ein lesenswerter und starker Roman. Wie jeder Murakami ist diese Lektüre nicht für jedermann, aber wer sich darauf einlässt, begibt sich auf ein spannendes Abenteuer. Nicht ganz so stark wie Murakamis ältere Werke, aber immer noch gut.

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