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derduftvonbuechernundkaffee

Posted on 21.5.2020

Eigentlich ist Celestine ein Systemgünstling. Sie ist eine wohlwollende Beobachterin der politischen und gesellschaftlichen Zustände. So empfindet Celestine zumindest, bis zu dem Moment, in dem sie Zeugin eines Vorfalles wird, der sich in einem Bus ereignet. Jeder Bus besitzt genau zwei Plätze, auf denen sich Fehlerhafte ausruhen dürfen. Weit entfernt von den Perfekten. Das Gesetz sieht vor, dass man einem Fehlerhaften nicht helfen darf. Ein falsches Wort, eine falsche Geste und schon kann es passieren, dass die Whistleblower, die im ganzen Land für Ordnung und Gerechtigkeit sorgen, zur Stelle sind und dich mitnehmen. Was dann passiert, möchte man nicht erleben. Man wird inhaftiert und erhält ein Brandzeichen. Eine schmerzhafte Prozedur, die einen für immer daran erinnern wird, wer man ist. Das Brandzeichen, kann wie ein Kainsmal das Leben eines Menschen ruinieren. Einschränkungen machen das Leben Tag für Tag zu einem Höllenritt. Auch die Sippenhaft für Familienmitglieder gehören zu den Maßnahmen, mit denen der Staat die bestehende Ordnung aufrechterhält. Sogenannte Whistleblower sind für die Denunziation unliebsamer Zeitgenossen zuständig. An diesem besagten Tag also, als sich Celestine im Bus befindet, steigt ein fehlerhafter, alter Mann ein. Zwei Perfekte haben die einzigen Stühle belegt, die für Seinesgleichen vorgesehen sind. Doch dieser Mann ist gebrechlich und er ist krank. Alle schauen weg, als er fast zusammenbricht. Nur Celestine, ihre Schwester und ihr Freund beobachten das Geschehen. Das ist der Moment, an dem Celestine das erste Mal das bestehende System zu hinterfragen wagt. Ein Gedanke, der sich langsam entwickelt, und der ihr Leben von einem Moment auf den anderen grundlegend verändern soll. Mit Celestine erschafft die Autorin eine Protagonistin, die nicht dem gängigen Klischee entspricht. Das Mädchen möchte einfach nur dazugehören. Sie möchte kein Zeichen für andere setzen. Doch an einem Punkt ihres Lebens wird sie vor eine Entscheidung gestellt. Wegsehen, nicht beteiligt sein wollen, ist eine Entscheidung, die Mitverantwortung schafft. Fazit: Wie schnell verschwinden offene Gesellschaften – Pressefreiheit, Redefreiheit, und die Freiheit, falsch zu liegen. Die Gestaltung einer vermeintlich gerechten Gesellschaft war oft der Weg von Kulturnationen zu totalitären Systemen. Die bekannten Ingredienzen vieler totalitärer Systeme finden sich auch in „Flawed – Wie perfekt willst du sein?“ von Cecilia Ahern. Dass so eine Buchidee gut funktioniert, beweisen Jugendbücher wie „Die Bestimmung“ oder „Die Tribute von Panem“. Wie bei einer Dystopie üblich, gibt es auch hier eine Protagonistin, die gegen die als totalitär empfundene Gesellschaft aufbegehrt. Schon nach wenigen Seiten steht es außer Frage, dass die neue Gesellschaft eine Vielzahl untragbarer Zustände mit sich gebracht hat. Humanes Handeln bleibt dennoch eine individuelle Gewissensfrage. In einer Welt voller Kollaborateure und Denunzianten geht Widerstand hier nämlich ausgerechnet von einer Systemgewinnlerin aus. Das Buch ist ein Plädoyer für den Mut an sich selbst zu glauben, sich seinem Schicksal nicht zu ergeben und ein Beispiel dafür, wie man Leser zum Nachdenken anregt und dabei gleichzeitig unter die Haut geht.

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