wandanoir
Einwanderer. Zweite Generation. Kurzmeinung: Der vierte Stern wackelt ... Die Geschichte des Romans ist jetzt nicht mehr neu, es ist die Geschichte der ersten und zweiten Generation irakischer Flüchtlinge. Handlungsort ist eine nicht benannte größere Stadt, 252 Kilometer von Frankfurt/Main entfernt. Es könnte Düsseldorf sein. Oder? Die Schreibweise ist besonders, ergeht sich in unzähligen, gewollten, Wiederholungen, besonders im ersten Teil. Das nervt unendlich. Prägt sich aber auch ein! Im ersten großen Abschnitt erzählt Amal von ihrem Viertel, stellt die Kinder, die dort leben vor, die Familien. Mehr oder weniger teilen alle dasselbe Schicksal, sie sind immer noch Entwurzelte, obwohl sie in zweiter Generation nun in Deutschland geboren sind. Dasselbe Schicksal in immer neuen Variationen, denn ihr Aufenthaltsstatus ist unterschiedlich. Die Menschen richten sich ein, die einen so, die anderen so, in einigen Familien können die Väter die Demütigung nicht ertragen, in Deutschland eine untergeordnete Tätigkeit auszuüben, obwohl sie in ihrer Heimat prestigetragende Berufe ausübten. Die Sprachbarrieren betrachten sie als einen Anschlag auf ihre Persönlichkeit und sind nicht gewillt, genug Energie aufzuwenden, sie zu überwinden. Deshalb beschließen einige der Männer, zurückzukehren, auch wenn das bedeutet, dass sie in ein Land gehen, das politisch prekäre Verhältnisse aufweist. Was es für ihre Frauen und Kinder, vorzugsweise für die Töchter bedeutet, wird angerissen. Dabei bleibt es aber auch. Amal und Raffik, ihr späterer Freund, der den zweiten Teil erzählerisch bestreitet, kennen von allen Familien intimste Details. Gleichzeitig in zwei Kulturen zuhause oder auch gleichzeitig in zwei Kulturen nicht ganz Zuhause, davon erzählt der Roman. Wovon er eigentlich nicht spricht, obwohl er ständig davon spricht, ist die Emanzipation der Frau(en). Shahira, die sich von ihrem Mann getrennt hat, nachdem dieser nach einem Ehebruch versucht hat, sie in den Irak zu verschleppen, lebt, wie sie will und ist promiskuitiv, obwohl sie genau weiß, dass nicht nur ihr Ansehen in dem Viertel darunter leidet, sondern ihr Sohn Younes deswegen allerhand auszustehen hat. Shahira spricht vielleicht zweimal in dem Roman expressis verbis. Doch Shahira ist gar nicht so sehr das Thema des Romans, obwohl er so beworben wird. Es geht um die tastende Ankunft der Kinder und der Frauen, die sich ob sie wollen oder nicht verändern – oder aufgeben und ihren Männern zurück in die alte Heimat folgen. Oder die Männer geben auf. Und die, die eigentlich nicht aufgeben, haben einfach manchmal Pech und werden abgeschoben. Immer die Falschen, denkt man. Die Kritik: Das ständige Draufrumgehacke auf den Körper und die engen Röcke von Shahira ist eher quälend und themaverschleppend und ist als Beitrag zur Auseinandersetzung zur sexuellen Selbstbestimmung oder überhaupt zur Selbstbestimmung der Frau viel zu oberflächlich. Die Darstellung der Shahira-Figur hat der geneigten Leserin gründlich missfallen und ihr den Roman etwas vergällt. Der vierte Stern wackelt und schwankt ... Dennoch löst der Roman Kopfkino aus, denn man kann sich gut in die einzelnen Familien und ihre Positionen hineindenken. Man verändert sich oder man scheitert. Es scheint keine andere Möglichkeit zu geben. Fazit: Stilistisch interessant, manchmal nervend, wird ein altes Thema aufbereitet. Leider ist das alte Einwanderungsthema immer noch brandaktuell und wird uns noch eine Weile begleiten. Die Konflikte der Community sind jedoch auf ein verharmlosendes Niveau heruntergebrochen. Der Titel des Romans hat sich nicht erschlossen. Kategorie: Belletristik Verlag: DuMont, 2020