hundertmorgenwald
Die beiden Autoren, Eberhard Seidel und Klaus Farin haben zur Zeit der Wende Jugendliche im Osten und in Berlin interviewt. Darunter überwiegend rechtsradikale Jugendliche, aber auch linksextreme und Jugendliche aus den Einwandererviertel. Sie wollten deren Ängste und Träume erfahren. Aus der Generation stammen jene, die am häufigsten AfD wählen und die Wortführer der Pegida-Bewegung. In ihrer Einführung schreiben die Autoren: „Wir haben uns in diesem Band dagegen entschieden, die Jugend der Wende in einem aufgearbeiteten Essay zu reflektieren, sondern lassen die Jugendlichen möglichst authentisch selbst zu Wort kommen. Interviews stellen – im Gegensatz zu Essays oder Reportagen – höhere Anforderungen an die Leser*innen. Sie müssen selbst erkennen, wo die Interviewpartner*innen Fragen ausweichen, sich in Widersprüche verwickeln, großspurig ihre Heldentaten übertreiben. Das ist mühevoller, führt selten zu eindeutigen Resultaten (Gott sei Dank), und ist – finden wir jedenfalls – spannender. Und – gerade auch aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit, die nicht von einem Autor entsprechend seinem Standpunkt geglättet wurde – erkenntnisreicher.“ In meinen Augen machen es sich die Autoren damit ziemlich leicht. Ich konnte von dem Buch so gut wie nichts mitnehmen. Sicher, es ist nicht schwer zu erkennen, wo die Jugendlichen sich brüsten. Aber das kann es ja wohl noch nicht gewesen sein. Es gibt die rechtsextremen Jugendlichen die sagen: „Ausländer sind ja nicht so schlimm, wenn sie keine Verbrechen begehen und gut arbeiten“. Dann gibt es die, die alle Ausländer schlimm finden, weil nur der Deutsche wahrhaftig ist. Es gibt die, die auf die Straße gehen und nur darauf warten, dass sie jemand provoziert, um dann ordentlich drauf hauen zu können. Also alles nichts Neues. Ich las die Interviews und dachte jedes mal danach: Ja, und weiter?! In ihrer Einführung beschreiben sie auch, wie die Politik in den Jahren um 1990 dazu beitrug, die Stimmung gegen Migranten hochzuschaukeln. „Die cdu und csu, Teile der spd um Oskar Lafontaine und Teile der Medien inszenieren in den Jahren 1990 bis 1993 mit rassistischen Stereotypen garnierte Kampagnen gegen Asylsuchende und „kriminelle Ausländer“, die Geflüchtete und Migrant*innen unter Generalverdacht stellen .„ Für mich liest sich die Einführung fast so, als hätte es vor 1990 keine rassistische Gewalt gegeben. Ich habe mal bei Wikipedia geschaut und es gab auch schon vor der Wende in Westdeutschland viel Gewalt und Tötungsdelikte gegen Ausländer. Nur wurde es zu dem Zeitpunkt noch nicht systematisch von den Behörden erfasst. Ich glaube, es ist zu kurz gedacht, dass die öffentliche Diskussion „mit zum Verlust der humanen Orientierung in der Jugend der Wende“ führte und damit dafür sorgte, dass diese Generation die Radikalität ihrer Jugendjahre mit ins Erwachsenenalter genommen hat, wie die Autoren sagen. Da spielen weit mehr Faktoren rein. Wenn es einen Verlust der humanen Orientierung gab, dann müsste auch betrachtet werden, wie Westdeutschland Ostdeutschland behandelt hat (und noch immer behandelt). Mir gaben die Interviews leider gar nichts. Nichts, was man nicht schon weiß, wenn man sich etwas mit der Gesellschaft auseinander setzt. Ich habe mich nach jedem Interview einfach nur mies gefühlt und schlechte Laune bekommen, durch diesen ganzen Hass. Die Einführung dagegen hat mir gut gefallen, auch wenn ich nicht alles ähnlich sehe. Von diesen Gedanken und Überlegungen hätte ich mir weit mehr gewünscht. Diese Ausführung hat mich zum Nachdenken gebracht. „Wir denken: Im Zweifelsfall ist das Publikum immer noch selbst klug genug, authentische Darstellungen, beispielsweise von rassistischen Gewalttätern, zu interpretieren – ohne moralische Anmerkungen oder arrogante Sittenwächter, die, würden sie politisch denken, wissen müssten, dass Zensur immer eine Bankrotterklärung ist – für den Zensor. „ Sich einer Analyse und direkten Auseinandersetzung mit den Interviews zu entziehen und zu sagen, der Leser ist schon klug genug, finde ich schon ein bisschen frech. Und eine Auseinandersetzung hat für mich nichts mit Zensur zu tun. Dieses Argument ist doch genau das, was die Rechtsextremen heute immer behaupten. Nur weil man andere Meinung ist, würde man sie zensieren. Und gerade in der heutigen Zeit ist es doch extrem wichtig, sich zu positionieren und aufzuklären. Da haben die Autoren eine große Chance verpasst.