Lenislesestunden
Gestern Morgen war ich joggen und habe ununterbrochen über dieses Buch nachgedacht. Vorigen Abend habe ich es beendet, diese Nacht davon geträumt und heute Morgen nach dem Aufwachen hatte ich Fragen im Kopf wie "Sollte man eigentlich bei jedem neuen Job die Firmengeschichte überprüfen?". Offensichtlich hat dieses Buch irgendetwas mit mir gemacht. Auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen (kurz nach dem zweiten Weltkrieg sowie 60/70er Jahre) wird die Geschichte der Unternehmerfamilie Rautenberg erzählt. Sohn Wilhelm lernt die Arzttochter Inga kennen, schnell folgen die Hochzeit und zwei Kinder. Doch dann geschieht das Unfassbare: Kurz nach der Geburt der zweiten Tochter verstirbt Inga, die jüngere Tochter wird zu den Schwiegereltern abgeschoben. Aus ihrer Sicht ist einer der Handlungsstränge erzählt, sie berichtet von ihrer Kindheit mit dem abwesenden Vater, einer liebevollen Großmutter und dem schwer zu erreichenden Großvater, der die Kleine stets als "Es" anspricht. Als die Schulzeit beginnt, soll sie auf einmal wieder zurück zum Papa - das Unheil, das man als Leser*in schon früh zu ahnen beginnt, nimmt seinen Lauf. "Bis wieder einer weint" nimmt sich ganz viel Zeit, ausführlich, ruhig, oft nüchtern aber trotzdem atmosphärisch werden Orte, Szenerien und Personen beschrieben, wichtige Informationen sind häufig nebenbei eingeflochten, so dass ich mehrmals gestockt und einen Satz noch einmal gelesen habe, um seine ganze Tragweite zu begreifen. Eindringlich, dieses Wort kommt mir in den Sinn. Dieses Buch wirkt im Stillen, fast nebensächlich wird berichtet, wie Frauen und Kindern gegenüber mal die Hand ausrutscht, der Nachbar hat SS-Dolche über dem Sofa hängen, aber naja, er ist doch eigentlich "ein guter Kerl". Obwohl keine der Figuren wirklich sympathisch war und ich immer eine gewisse Distanz zu ihnen verspürt habe, habe ich das hier gar nicht negativ empfunden - wer weiß, ob es sonst auszuhalten gewesen wäre. "Bis wieder einer weint" hat mich von Anfang in in seinen Bann gezogen und bisher nicht wieder losgelassen. Keine leichte, aber eine lohnens- und lesenswerte Lektüre!