Babscha
Mehr zufällig bin ich auf dieses vergangenes Jahr erstmalig auf deutsch erschienene Werk aus dem Jahr 1987 gestoßen. Bücher, die schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben und dann -bestenfalls- wie guter Wein leise gereift sind, erwecken immer mein Interesse. Also: Richtige Trinktemperatur (bzw. Stimmungslage) abwarten, entkorken (bzw. aufschlagen), durchatmen (lassen) und einen ersten Schluck goutieren. Und der schmeckt gar nicht mal so schlecht. Die 1935 geborene jüdische Autorin, Journalistin und überzeugte Feministin, aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in der New Yorker Bronx, setzt in ihrem autobiografischen Buch im Jahr 1980 an. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits viel geschehen in ihrem offensichtlich ziemlich verkorksten Leben, das sie in vielen Rückblenden hier aufrollt. Auf langen Spaziergängen kreuz und quer durch das quirlige Manhattan zusammen mit ihrer 77jährigen Mutter, der sie von klein auf in einer ganz speziellen, hochkomplizierten Hassliebe verbunden ist, lassen die beiden Frauen ihre gemeinsame Vergangenheit und die hierin verankerten Menschen noch mal Revue passieren. Hier die Mutter, eine intelligente, hochneurotische, völlig egozentrische und in ihren jüdischen Konventionen fest verhaftete Persönlichkeit, die ihre Meinung immer und überall, notfalls mit der Brechstange, durchdrückt. Eine unglückliche, verbitterte Frau, die einerseits der Meinung ist, dass das Leben ihr als Hausfrau alles vorbehalten habe, was ihr eigentlich zugestanden hätte, sich andererseits nach dem frühen Tod ihres Ehemanns über lange Jahre faktisch aber selbst aufgibt und die Trauer über diesen unermesslichen Verlust zu ihrem absoluten Daseinsinhalt hochstilisiert; Liebe als hochmoralische Instanz außerhalb jeder damit indiskutablen Körperlichkeit. Dort die Tochter, die von klein auf von ihrer Mutter psychisch drangsaliert, manipuliert und klein gehalten wird, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt. Einsamkeit, unerfüllte Sinnsuche und depressive Episoden werden sie ihr Leben lang begleiten. Sie erzählt von einer frühen, von der Mutter natürlich torpedierten Ehe mit einem instabilen Künstler, die nicht lange hält, wie auch nachfolgenden Beziehungsgeschichten, die ebenfalls scheitern. Ungeachtet ihrer schon früh stark feministisch geprägten Persönlichkeit versucht sie auch in ihren späteren Jahren immer wieder, ihre innere Leere durch ein exzessives Sexleben mit Männern zu kompensieren, was logischer Weise nur temporär gelingt. Weiterer Fluchtpunkt und Rettungsanker ist ihre journalistische und schriftstellerische Tätigkeit, die aber lt. eigener Aussage ebenfalls nicht die erhoffte dauerhafte mentale Gesundung bewirkt. Das Buch ist insgesamt atmosphärisch dicht und in einer starken Sprache geschrieben (tolle Übersetzerleistung) und die Autorin in ihrer Eigendarstellung zumindest weitgehend nachvollziehbar und glaubhaft. Sehr unterhaltsam auch die vielen Rückblicke auf die frühen Jahre im speziellen jüdischen Wohnumfeld der Mietskaserne in der Bronx mit einigen skurrilen Typen. Wirklich interessant aber ist hier die aufgrund der vielen erlittenen Verletzungen eigentlich unmögliche, aber dennoch lebenslang felsenfeste Verbindung zwischen den zwei Frauen in einem permanenten „Kleinkrieg“ und der einseitig verschuldete Mutter-Tochter-Konflikt, der eine echte Emanzipation und ein selbstbestimmtes Leben der Autorin nur äußerst eingeschränkt ermöglicht hat. Eine „liebende Abrechnung“ mit der Mutter in Buchform, wenn man so will. Lesenswert.