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gwyn

Posted on 15.5.2020

Der erste Satz: «Ich lege den Brief in Noahs Nachttisch und schiebe die Schublade zu.» Andreas Götz beschreibt in diesem Jugendroman gut, wie verführerisch rechte Thesen sein können und wie schnell man ihnen auf den Leim gehen kann. Leahs Zwillingsbruder liegt im Koma, nachdem er von Unbekannten zusammengeschlagen wurde. Die Gewalttat wird Geflüchteten zugeschrieben. Wie kann das sein? Leah, Noah und ihre Eltern hatten sich in der Flüchtlingshilfe engagiert – warum sollten ihn genau diese Menschen verprügeln? Doch da bekommt Leah Stück für Stück kleine Videos zugeschickt, auf denen Noah zu sehen und zu hören ist. Gehörte ihr Bruder der Gruppe «Advocatus Diaboli» an, einer rechten Jugendgruppe? Leah geht der Spur nach und wirklich, er ist ein rechter Aktivist. Was ist geschehen? Sie trifft sich mit diesen Leuten, die von dem charismatischen Alexander Bornheim angeführt werden. – Und genau wie ihr Bruder droht sie den verführerischen Parolen des Anführers zu verfallen, verliebt sich in ihn – das alles klingt leider recht klischeehaft. Maulhelden im Debattierclub in Springerstiefeln. Das ist so verdammt klischeehaft – rechte Szene sieht anders aus. «Wen juckt es, ob einem von denen was passiert ist. Die hätten da eh nicht leben sollen, die haben ihr eigenes Land. Und so ein bisschen Feuer und Panik ist doch nichts Neues für die.» Sich mit rechten Theorien zu beschäftigen und darzustellen, wie schnell man diesen verfallen kann, das finde ich gut ausgearbeitet und lobenswert. Von der Psychologie her ist das Bild nicht stimmig. Die Figuren sind schwach und unstimmig. Man fällt nur in diesem Tempo auf die Gesinnung herein, wenn man instabil ist – und eben diese Persönlichkeiten werden gegenteilig beschrieben. Außerdem gibt jede Menge Zufälle in der Geschichte, die in der Häufung nicht glaubhaft sind. Mehr dazu unter Spoiler – bitte nicht lesen, wenn man das Buch selbst auf sich wirken lassen möchte. Alexander, ein junger Erwachsener, der Rhetorik und debattieren trainiert, allein schon durch sein Elternhaus geschliffen ist, redet in vielen Abschnitten wie ein Dreizehnjähriger – ein Manko allgemein, dass die Figuren nicht altersgerecht und bildungsgerecht kommunizieren. Klar, der Roman ist an das Alter ab 14 Jahre gerichtet. - Dann sollte man sich eben dieser Protagonisten bedienen. Aus diversen Gründen konnte mich das Buch nicht überzeugen. Grundsätzlich finde ich die Auseinandersetzung mit dem Thema lobenswert. Achtung Spoiler *** Achtung Spoiler *** Achtung Spoiler *** Noah und Lea haben bereits ihr Abitur in der Tasche (19 +) und sind in einem Elternhaus aufgewachsen, das sich sozial engagiert (grün-sozialdemokratische Linie), sind den gleichen politischen Weg gegangen – gefestigte Persönlichkeiten, stabil, Menschen, die genau wissen, wie sie ihr Leben weiter verlaufen soll. Und dann kommt ein charismatischer, gutaussehender Bad-Guy mit seinem rechten Debattierclub daher, dreht Noah um, macht ihn zum aggressiven Rechten. Obendrein bekommt seine Zwillingsschwester, die so eng mit ihm verdrahtet ist, rein gar nichts mit. Leah wiederum spürt auch sofort eine magische Anziehungskraft zu dem netten reichen Bad-Guy. Völlig unglaubwürdig. Nehmen wir die andere Seite: Die Gruppe «Advocatus Diaboli» nimmt eine Flüchtlingsaktivistin sogleich herzlich auf? Als Bonbon oben drauf wacht Noah am Ende aus dem Koma auf, schämt sich für seine kurzzeitige Verblendung und steht wieder auf der anderen Seite. Knöpfchendrücken an, Knöpfchendrücken aus. So funktioniert die Psyche nicht. Der Grund, weshalb er plötzlich auf Fremde sauer ist: Noah verliebt sich in die Freundin seiner Mutter, die ihn ablehnt, weil er zu jung ist. Gleichzeitig hat sie ein Verhältnis mit den jungen gleichaltrigen Asylanten, den sie bei sich wohnen lässt, der Noahs Freund ist. Als Noah das herausbekommt, hat der Freund aber bereits mit der älteren Dame Schluss gemacht… ziemlich wenig für einen Gesinnungswechsel. Wären die Zwillinge 12-14 Jahre alt, wäre die Geschichte nachvollziehbar (auch in diesem Fall nicht die sofortige Umkehr nach dem Koma), ebenfalls wenn es sich hier um instabile, politikuninteressierte, suchende junge Erwachsene gehandelt hätte. Genauso ist die Protagonistin Eva für mich überhaupt nicht stimmig. Ein Roman steigt und fällt mit der Glaubwürdigkeit seiner Protagonisten – und damit fällt diese Geschichte für mich Stück für Stück – am Ende tief in den Keller - resümierend aus jahrzehntelanger Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Guter Ansatz in der Idee, aber das war`s dann auch für mich.

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