Profilbild von ankasgeblubber

ankasgeblubber

Posted on 14.5.2020

Nach meinen zwei Top-Poznanski-Titeln "Erebos" und "Saeculum" lag die Messlatte für ihr neues Buch natürlich wahnsinnig hoch. Meine Erwartungen waren groß, doch ich war mir zu 100% sicher, dass mich auch "Die Verratenen" begeistet zurücklassen würde. Anders als "Erebos" und "Saeculum" ist "Die Verratenen" kein Einzelband, sondern der erste Band einer Trilogie. Wir haben es außerdem nicht mit einem Thriller, der in der "Jetzt-Zeit" spielt zu tun, sondern mit einer Dystopie. Rias Geschichte spielt weit in der Zukunft, in einer Zeit, in der die Menschen in Reagenzgläsern gezeugt werden, eine Zeit, in der die Bevölkerung zweigeteilt ist, eine Zeit, in der Deutschland von einer Art Eiszeit oder Kältewelle heimgesucht wurde. In dieser Zeit lebt die 18-jährige Ria. Sie gehört zu der Elite des Landes und zählt zu den wohlbehüteten Sphärenbewohnern, denen es an nichts fehlt. Sie darf eine umfangreiche Ausbildung genießen und weiß, dass ihr eine erfolgreiche Zukunft in einer leitenden Position bevor steht. Ihr Fachgebiet ist die Kommunikation - sie kann sich nicht nur perfekt ausdrücken, stark argumentieren oder mit ihrem bloßen Ausdruck überzeugen, nein, sie kann auch ihren Gegenüber lesen und verstehen. Plötzlich, von heut auf morgen, ändert sich alles und die Sphäre ist nicht länger ein zu Hause für die talentierte Studentin. Zusammen mit ihrem Freund und vier anderen Jugendlichen, flieht sie schutzlos in die Welt da "draußen". Eben war sie noch das erfolgreichste Mädchen ihrer Sphäre und ein Vorbild für alle anderen Studenten, jetzt kämpft sie in eisiger Kälte ums bloße Überleben, auf der Flucht vor den Menschen, denen sie einst blind vertraut hat. Obwohl "Die Verratenen" ganz klar zu den aktuell sehr gehypten "Dystopien" zählt und man es schnell in einen Topf mit anderen Büchern dieses Genres wirft, sollte man hier nicht zu voreilig sein, denn Ursula Poznanski gelingt es, sich von der Masse abzuheben und eine komplett neue Geschichte zu erzählen. Mir kam die gesamte Story und deren Rahmen etwas anspruchsvoller vor, sie hatte für mich mehr Tiefe und strahlte eine gewisse Ruhe aus. Ria ist eine interessante Hauptfigur, die bereits im Auftakt dieser Trilogie eine Wandlung durchmacht. Für mich war sie nicht die typische Heldin einer typischen Dystopie, mit der man sich direkt verbunden fühlt und die man für ihren Mut und ihre Stärke bewundert. Ursula Poznanski steht ihrer Protagonistin durchaus Schwächen zu und macht sie somit glaubhafter. Ria ist Sphärenbewohnerin aus Leib und Seele, von sich und ihrem Umfeld sehr überzeugt und obwohl sie eine sehr intelligente Schülerin zu sein scheint, nimmt sie anfangs alles so hin, wie es ihr präsentiert wird und hinterfragt nichts. Als es zu einer Art Verschwörung kommt, beginnt sie aus ihrem Dornröschenschlaf aufzuwachen und muss feststellen, dass es niemanden mehr gibt, dem sie zu 100% vertrauen kann. Stück für Stück habe ich mich an Ria herangetastet und am Ende mochte ich sie dann doch sehr. Die anderen "Mitflüchtlinge" erschienen mir ein bisschen blass, was sicher von der Autorin gewollt ist. Mir fiel es schwer, die einzelnen Charaktere einzuschätzen und so witterte ich in jedem von ihnen einen Verräter... so wie Ria. Die Prims, von denen Ria und ihre Leute auf ihrer Flucht gefangen genommen werden, waren für mich wesentlich interessanter, ganz besonders einer von ihnen, der ganz sicher im nächsten Band ebenfalls eine Rolle spielen wird. Ein weiterer Punkt, der "Die Verratenen" ein bisschen von anderen Dystopien unterscheidet, ist die (beinahe) fehlende, dramatische Liebesgeschichte. Ria ist zwar mit ihrem Freund Aureljo auf der Flucht, doch ihre Beziehung wird nicht weiter beleuchtet. Hier hält Ursula Poznanski sicher noch ein anderes Schmankerl zurück, das ganz subtil, zum Ende hin etwas offensichtlicher, angedeutet wird und in Band 2 für Herzklopfen und Dramatik sorgen wird (hoffe ich zumindest sehr). Ziemlich beeindruckt war ich von den vielen kleinen Details, die die Geschichte für mich so interessant gemacht haben, z.B. die Namensgebung der Sphärenbewohner oder auch die Zeichensprache der Prims (tatsächlich saß ich morgens im Zug und habe meine Finger verknotet, um schließlich ein Wildschwein in Zeichensprache darstellen zu können). Wie ihr seht, ist diese Geschichte für mich absolut rund und perfekt... wäre da nicht meine hohe Erwartungshaltung und mein Kritikpunkt, der mich "Die Verratenen" schließlich etwas enttäuscht zuschlagen lässt. Mir hat die Spannung, der typische "Page-Turner-Effekt" komplett gefehlt. OK, es ist der Auftakt einer Trilogie und es ist wichtig, erstmal die Hintergründe zu verstehen und die Charaktere kennen zu lernen. Ich meine auch nicht die Spannung, die eine atemlose Flucht, begleitet von Wolfsangriffen und bewaffneter Exekutoren, mit sich bringt, sondern einfach den Sog, den die bisherigen Poznanski-Bücher auf mich ausgeübt haben. Ich klebte nicht an den Seiten und konnte das Buch getrost zur Seite legen, als meine Augen müde wurden (im Falle von Erebos hätte ich mir sofort einen Kaffee aufgebrüht). So gesehen kann ich mich den Begeisterungsschreien nicht ganz anschließen. Diese Dystopie ist anders als andere und besticht mit einer unheimlich interessanten, komplexen Geschichte. Der "Page-Turner-Effekt" blieb bei mir, bedingt durch die fehlende Spannung, leider aus. Trotzdem möchte ich Rias Weg weiter verfolgen.

zurück nach oben