gwyn
«Sie hatten sich über ein Dating-Portal für Geschiedene kennengelernt. Sein Profil war einigermaßen nichtssagend und gerade deshalb hatte sie ihn angeschrieben.» Es ist schwer, diesen Roman zu rezensieren, ohne das zu verraten, was ihn ausmacht. Daher hier nur Andeutungen. Frei Frauenprofile – drei völlig verschiedene Charaktere. Alle drei sind misstrauisch, stehen unter starker Anspannung und sind auf der Suche nach etwas. Drei Frauen, so normal wie so ziemlich jeder in der Gesellschaft. Alle drei kommen gerade so über die Runden und führen ein anstrengendes Leben. Was zuerst nicht so erscheint, entpuppt sich als Crime-Story. Ich bin begeistert von diesem Roman. Der Autor tastet sich langsam heran an die Dinge, die im Verlauf geschehen werden. Schleichend zieht er den Strick zu – der Leser weiß irgendwann, was hier passiert und hält die Luft an; denn ab diesem Punkt wird das Buch rasant spannend. Natürlich war die Story bereits von Anbeginn fesselnd. Doch wenn das Crime-Prickeln einsetzt, packt die Story zu. Ornas Mann ist abgehauen, sie ist geschieden und er wohnt nun in Nepal mit einer neuen Frau, neuen Kindern, kümmert sich nicht um den gemeinsamen Sohn. Eine harte Zeit für die Lehrerin, denn ihr Sohn ist von jeher nicht einfach, und er konnte die Trennung nur schwer verkraften, geht regelmäßig in die Psychotherapie, die die Kasse nun nicht weiter zahlen will. Über ein Datingprofil trifft sie sich mit Gil. Das Herz schlägt keinesfalls höher, aber er ist ok. Man kann sich nett mit ihm unterhalten. Ein Durchschnittstyp. Höflich, nicht fordernd, nicht übergriffig. Man trifft sich ein paar Mal, redet und dann treffen sie sich öfter. Gil ist geschieden, vorbildlich im Umgang mit Frau und Töchtern. Ein umsichtiger Mann, mitfühlend, einer der sie unterstützt. Ganz langsam bauen die beiden Vertrauen zueinander auf, denn man ist als Beziehungsgeschädigter vorsichtig. «Nachum starb am fünfundzwanzigsten Dezember, am Geburtstag von Gottes Sohn. ... Vier Tage zuvor war er mitten in der Nacht aufgewacht und hatte keine Luft mehr gekriegt. Ein Rettungswagen hatte ihn ins Krankenhaus gebracht und von dem Moment an wurde Emilia nicht mehr gebraucht.» Emilia ist eine lettische Altenpflegerin. Sie arbeitet illegal in Israel, wohnt beim Klienten, Nachum. Sie wird von Nachum und seiner Frau gut behandelt. Sie hat kein Zuhause, weder in ihrem Land noch hier – lebt in einem Schwebezustand. Und als Nachum stirbt, ist sie arbeitslos, besitzt nicht mehr, als einen Koffer voll Kleidung. Die Arbeitsvermittlung besorgt ihr eine Stelle in einem Altenheim – eine Halbtagsstelle, illegal versteht sich, unterbezahlt. Wovon soll sie die Miete für eine Wohnung zahlen? Man bietet ihr an, auf dem Sofa der alten Frau zu schlafen, die sie betreut und mit ihr den Schrank zu teilen. Mit Nachum war alles gut, sie wurde als Teil der Familie behandelt, es fühlte sich an wie ein Zuhause. Nun ist sie völlig einsam, in einem Land, dessen Sprache sie nur bruchstückhaft beherrscht. Ihr einziger Halt ist ihr Glaube an Gott, die Kirche und ein polnischer Priester. Die Dritte heißt Ella – sie sitzt jeden Morgen in einem Café am Laptop, schreibt an ihrer Masterarbeit, weil sie zu Hause nie zur Ruhe kommt. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie freut sich, jemanden kennenzulernen, der ihr zuhört. Dror Mishani geht hinein in die Charaktere, stellt sie sie mit allen Gefühlen bloß, mit ihren Problemen, mit ihrer Einsamkeit. Drei Frauen mit all ihren Sorgen, mitten aus dem Leben. Vorsichtige Frauen, misstrauisch und doch so verletzbar. Und genau in dieser Verletzlichkeit werden sie angegriffen, schleichend überrumpelt. Hier wird ein Netz gewoben, das Stück für Stück verknüpft wird. Ein Gesellschaftsroman, eine Crimestory, gut geschrieben, denn Dror Mishani schafft es, von Anfang an eine Spannung aufzubauen, der man sich icht entziehen kann, die sich immer weiter steigert. Ein leiser literarischer Thriller, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Dror Mishani, geboren 1975 in Cholon bei Tel Aviv, wurde mit seinen Kriminalromanen rund um Inspektor Avi Avraham international bekannt. Neben dem Schreiben ist er Literaturwissenschaftler, sein Spezialgebiet ist die Geschichte der Kriminalliteratur. Mit ›Drei‹ gelang Dror Mishani der Durchbruch, der Roman wurde in Israel zu einem Mega-Bestseller und einem literarischen Phänomen, eine Verfilmung ist geplant. Dror Mishani lebt mit seiner Familie in Tel Aviv. Shalosh «Drei» stand er auf der Shortlist für den ›Sapir-Preis‹ (Israeli Booker), 2020.