patricianossol
Klappentext und Buchcover sprachen mich an. Als ich las, dass die Buchautorin in“Neuleben“ ihre wahre Familiengeschichte erzählt, war ich Feuer und Flamme. Schlägt man das Buch auf, blickt man zunächst auf den Familienstammbaum. Das hilft, die handelnden Personen des Romans besser zuzuordnen. Die Geschichte beginnt im Jahre 1953, als Therese Trotha nach West-Berlin zieht, um Jura zu studieren. Als Tochter eines Wehrmachtsoffiziers und einer Großgrundbesitzerin durfte sie in der DDR nicht studieren. Doch auch an der Freien Universität Berlin ist es nicht üblich, dass Frauen Jura studieren. Therese und ihre Mitstudentin treffen bei den Kommilitonen und den konservativen Professoren auf Ablehnung. Ihr Studium wird zum Spießrutenlauf. Dennoch ist Therese fest entschlossen, die erste Richterin im Nachkriegsdeutschland zu werden. In ihrer Schwägerin Gisela findet Therese eine Verbündete, denn auch sie tanzt aus der Reihe. Gisela ist nicht bereit, an der Seite von Thereses Bruder ein ruhiges Hausfrauendasein zu fristen. Sie hat ein Händchen für Mode und Trends. Die von Gisela selbst entworfenen und geschneiderten Kleider finden reges Interesse bei der modernen Frau der Fünfziger. Inzwischen wächst die Kluft zwischen Ost und West. Familien brechen auseinander... Und ich bin gedanklich mittendrin, begleite die intelligente, ehrgeizige Therese zur Uni und freue mich, wenn sie den altbackenen Professoren zeigt, was in ihr steckt. Ich bin traurig, dass sie bei den männlichen Kommilitonen als graue Maus betrachtet wird und wünsche mir, ihre Schwägerin Gisela möge Therese ein neues Outfit verpassen. Gisela ist eine liebenswerte Frau mit viel Talent. Auch sie muss sich gegen Missgunst und Neid behaupten. Ich mag die beiden unterschiedlichen Frauen und verfolge gespannt ihre Lebenswege, die in zwei Handlungssträngen parallel erzählt werden. Sie verdienen meine Hochachtung, weil sie sich in einer Zeit, in der man von Emanzipation der Frau weit entfernt war, in der Männerwelt energisch durchgesetzt haben. Man spürt beim Lesen das Herzblut der Autorin und die Nähe zu den Protagonisten. Sie schreibt lebendig in starken Bildern. Neben der wahren Familiengeschichte bindet die Autorin viele interessante zeitgeschichtliche Fakten in ihren Roman ein. Die Atmosphäre des Buches beeindruckt mich. Detailgetreu und emotional berührend beschreibt Katharina Fuchs, wie die Grenze Ost- und Westdeutschland Stück für Stück voneinander trennt. Wo einst noch Öffnungen möglich waren, sind plötzlich nur noch Schlupflöcher, bis auch diese letztendlich verschlossen werden. Dramatische Szenen spielen sich ab. Heutzutage ist es schwer vorstellbar, wie konsequent man damals das Land gespaltet hat und diesen Zustand so viele Jahre aufrecht erhalten konnte. „Neuleben“ ist ein bewegender Roman, der mich mit Charme, Dramatik und Spannung in die Fünfziger entführt hat. Interessante und unterhaltsame Lektüre mit Leseempfehlung!