wandanoir
VON AIDS UND VOM TOD Kurzmeinung: Verliert leider mit der Zeit durch Geschwätzigkeit und zu viele Handlungselemente. In dem Roman „Die Optimisten“ geht es um die Schwulenszene in den 1980ern in Chicago und die Veränderungen, die eintreten als das tödliche Aids-Virus ausbricht wie eine Seuche, gegen die man nichts tun kann. „Plötzlich ist Sex nicht mehr nur Sex“, lässt die Autorin ihren Hauptprotagonisten sagen. Sondern besetzt mit Angst und Krankheit, Verdächtigungen und aufgebrachten Unterstellungen gegenüber dem Gesundheitswesen und der Politik. Die sie (gefühlt) alle im Stich lassen. Denn zuerst hat man sich in der Szene endlich frei gefühlt, waren die 1980er die Zeiten des sexuellen Comingouts überhaupt und der Möglichkeit, sich auszuprobieren und von langhergebrachten Fesseln der Konventionen zu lösen. Das Paradies schlechthin! Und nun das: Zurück auf Null und von der Gesellschaft geächtet, ausgestoßen. Yale und Charlie sind ein monogames Paar, das schützt sie in diesen Zeiten vor Ansteckung und Tod. Der eine, Charlie, leitet mit Engagement und großem Erfolg eine Schwulenzeitung, der andere ist in der Kunstsparte tätig. Yale ist führender Angestellter einer der Northwesternuniversität angegliederten Galerie und fürs Fundraising zuständig. Dieses Fundraising umfasst sowohl finanzielle Zuwendungen wie auch das Anlandziehen von Vermächtnissen möglichst wertvoller Kunstgegenstände. Gerade ist Yale dabei, einer alten Dame zuzureden, der Galerie ihre millionenschweren Bilder zu vermachen und sie nicht der Familie zu überlassen. Eine schwierige Aufgabe. Zeitgleich: Das Idyll des schwulen Paares, Yale und Charlie, zerbricht als einer der beiden fremdgeht und sich ansteckt. Ist auch der andere angesteckt? Positiv ist zunächst herauszustellen, dass die Autorin das Geschehen der Schwulenszene in Chicago, das Aufkommen von Aids, die erschütternden Krankengeschichten sowie diverse politische Ereignisse, einschließlich der Kunstszene Chigacos, sehr authentisch darstellt. Leider auch akribisch. Die sorgfältige Recherche der Autorin führt deshalb zu manchen Längen. Subjektiv und drastischer ausgedrückt: Das Buch ist zu lang und ersäuft an seiner Detailfülle. Nach der Hälfte der Zeit verliert die geneigte Leserin allmählich das Interesse. Woran liegts im Einzelnen? Zwei parallel geführte Handlungstränge wechseln sich unnötigerweise regelmässig ab und lassen das Interesse erlahmen. Erstens hängen sie nur lose zusammen und zweitens gibt es keinen ersichtlichen Grund für den ständigen Wechsel, beide Stränge werden nicht immer dichter zusammengeführt, sondern bleiben für sich stehen bis zum Ende. Die Protagonisten, Yale in den 80igern und Fiona um 2015, begeistern nicht. Sie haben zu wenige Facetten. Leblos sind sie nicht und sie schwätzen auch eine Menge. Aber sie sind zu beschäftigt, um zu wirken. Yale mit seiner Kunst und dem Schwulsein und Fiona mit der Suche nach ihrer Tochter und Enkelin. Wer sind Fiona und Yale wirklich? No idea. Das Sosein kommt zu kurz. Die Handlung ist viel zu vollgestopft. Nicht nur verfolgen wir den sehr komplizierten Fundraisingsfall Yales in allen Einzelheiten, sondern auch seine Beziehungen zu Charles und zu quasi jedem, der ihm über den Weg läuft. Diverse Krankheitsverläufe und Todesfälle werden in der Rückschau beobachtet. In Paris wird es vollends wirr. Wir hasten mit einem Privatdetektiv durch die Gassen, brechen eine Wohnung auf, bereiten eine Ausstellung vor, arbeiten alte Beziehungen auf, haben sexuelle Abenteuer und erleben einen terroristischen Anschlag. Dazu schwätzen die Protagonisten ununterbrochen (vor sich hin). Dialoglastig ist ja per se nicht verkehrt, nur dann, wenn dies zum Nachteil "der Persönlichskeitsbildung" geht, dann schon. Fazit: Die historische Darstellung der Chicagoer Schwulenszene, einschließlich deren Verortung in Politik und Gesellschaft ist gut gelungen. Der zweite Teil mit Paris und allem drum und dran jedoch ist für ärgerliche Längen verantwortlich. Es wäre besser gewesen, ihn gar nicht zu bringen. Die Charakterzeichnungen hätten ausgeprägter sein können, ja müssen! Fiona ist eine sehr langweilige Person. Insgesamt ist der Roman schon gut lesbar, aber der große Wurf ist es nicht. Emotional hat mich die Erzählung nicht gepackt. Kategorie: (Fast historischer) Roman. Belletristik. Verlag: Eisele, 2020