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daslesendesatzzeichen

Posted on 12.5.2020

Wunderschön aufgemacht, mit Abbildungen der herrlichen Edward-Hopper-Gemälde in guter Auflösung und auf hochwertigem Papier gedruckt, liegt die kleine Kostbarkeit „Nighthawks“ aus dem Droemer Verlag vor mir. Es ist schon eine Freude, wie hübsch Bücher sein können. Aber dieses hier hat nicht nur eine schöne Hülle, sondern auch einen faszinierenden Inhalt. Die Idee hatte mich sofort gefangengenommen: Schriftsteller schreiben Geschichten zu Bildern von Hopper. Ein simpler, aber genialer Einfall! Insgesamt 16 Autoren konnte Lawrence Block dazu bewegen, sich von den einzigartigen Bildern mit der Hopper-typisch unterkühlt-charismatischen Atmosphäre inspirieren zu lassen und frei von der Leber weg zu fabulieren, was wohl hinter dem im Bild eingefangenen Augenblick steht. Oder besser gesagt: Was vorgefallen sein könnte, bis zu diesem einen Moment oder was danach geschehen sein könnte. Vorgaben machte Block, seines Zeichens amerikanischer Kriminalgeschichtenautor, seinen befreundeten Kollegen keine. Er selbst fügte der Sammlung noch eine eigene Geschichte hinzu. Allesamt sind sie skurril, eigenartig und oft auch ein bisschen anzüglich-erotisch, aber doch eben, wie auch Hoppers Gemälde, außergewöhnlich. Da gibt es zum Beispiel den Spanner aus der Geschichte „Abends am Fenster“ von Jonathan Santlofer nach dem Bild „Night Windows“ (1928), der von seinem Zimmer aus die Frau im rosa Negligé von gegenüber beobachtet. Doch beobachten alleine reicht ihm nicht, auch die Bewohnerinnen zuvor hat er observiert, dann getroffen und dann … nun, … er hat sie wohl nicht ermordet, aber er hat sie psychisch zerstört, er hat ihnen ein Leben wie zuvor unmöglich gemacht. Und nun gibt es dieses entzückende Exemplar von einer Frau, ein Traum in rosa – und er will sie haben, mit Haut und Haar. Doch nichts ist wie bisher und der perverse Voyeur erlebt sein „rosa Wunder“ … Sehr schön ist auch die Geschichte „Das Musikzimmer“ von Stephen King, der seinem Ruf als Produzent gruseliger Geschichten alle Ehre macht. Inspiriert vom Gemälde „Room in New York“ (1932), lässt er seiner schwarzen Fantasie freien Lauf und berichtet von der äußerst ungewöhnlichen Nutzung des im Gemälde an der Rückwand ersichtlichen Wandschranks. Das Pärchen, das so scheinbar entspannt in seinem Musikzimmer sitzt, verdient seinen Unterhalt auf nicht ganz alltägliche Weise, wie der geneigte Leser bald erfährt … Jede Geschichte hat ihren eigenen Reiz; da sie inhaltlich komplett unabhängig voneinander sind, kann man sie wunderbar einzeln verschlingen. Am besten jeden Abend eine, schön ins warme, mollige Bett gekuschelt, wie ich das getan habe. Ein wirkliches Highlight in meiner Bücherkiste des Jahres 2018, schon allein, weil ich das Buch so gerne in die Hand nehme und anschaue. Und das, obwohl ich absolut kein Fan von Kurzgeschichten bin – ich neige nämlich dazu, gute Stories gerne über etwas mehr als nur ein paar Seiten verfolgen zu dürfen. Noch ein Tipp am Rande: Mir war das Vorwort ein echter Dorn im Auge, zu amerikanisch für meinen Geschmack. Bitte davon nicht beeinflussen lassen, einfach ein bisschen schneller blättern und dann reinspringen ins Vergnügen. Bester Lesestoff für Leseratten und Kunstfreunde.

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