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daslesendesatzzeichen

Posted on 12.5.2020

Manchmal braucht gute Literatur nicht viele Worte. So schön es sein kann, in einen mehrere hundert Seiten dicken Schmöker eintauchen zu dürfen, so erfrischend ist es auch mal wieder, ein schmales Bändchen vor sich zu haben, das nichtsdestotrotz prall gefüllt ist mit gutem Inhalt. Katja Oskamp hat mit ihrem bereits 2019 erschienen „Marzahn, mon amour“ der schier endlosen Liste an Büchern über Berlin einen weiteren Titel hinzugefügt, was mich zuerst nicht unbedingt für das Buch eingenommen hat. Manchmal nervt mich die Selbstbeweihräucherungsliteratur der Hauptstädtler etwas, daher war ich skeptisch. Doch optisch (sehr gelungenes Cover, das sich mir erst auf den dritten Blick als hineingezoomtes Foto eines Plattenbaus erschloss) sprach es mich einfach sehr an, also warf ich meine Genervtheit über Bord und wurde dafür sehr belohnt! Katja Oskamp hatte als Schriftstellerin eine Schaffenskrise, die Texte kamen nicht gut an, verkauften sich mäßig, der Ehemann war schwer krank und so beschloss Frau Oskamp zu handeln und nicht lange zu zaudern: Sie beginnt eine Umschulung zur Fußpflegerin. Bereits auf Seite 12 ihres Buches fallen einem Sätze entgegen, die möchte man ausdrucken und rahmen, weil sie so anpackend, lebenstüchtig und unprätentiös sind: Ich erzählte zunächst niemandem von meiner Umschulungsaktion. Als ich es dann doch tat, schlugen mir Ekel, Unverständnis und schwer zu ertragendes Mitleid entgegen. Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin – ein fulminanter Absturz. Mir fiel wieder ein, wie sie mir auf die Nerven gegangen waren mit ihren Köpfen, Gesichtern und gut gemeinten Ratschlägen. Ich konnte nicht auf sie warten. Ich hatte zwei gesunde Hände, die einer nützlichen Arbeit nachgehen würden. Der Anfang würde nicht einfach sein, aber schön wie jeder Anfang. Wie wohltuend! Jemand, der sich nicht beklagt, der sich nicht zu schade ist und der vorwärts schaut. Oskamp ist niemand, der Berührungsängste hat, sie macht einfach. Sie taucht ein in die Welt der Dienstleisterin, arbeitet als Fußpflegerin in einem Kosmetikstudio. Fußpflegerinnen haben ja schon bereits aufgrund der Position der Füße, die sich – stating the obvious – ganz unten am Körper befinden, bei ihrer Arbeit eine sehr unterwürfige Position. Sie fahren den Kunden auf seinem Sitz in die Höhe und gehen quasi vor ihm in die Knie, das gleiche Modell wie beim Schuhputzer. Kein Job für jemanden mit Starallüren. Ha, könnte der Skeptiker einwenden, bestimmt war es leichter für sie, weil sie insgeheim alles als Außenstehende beobachtet hat und in Gedanken bereits das Buch verfasste. Doch wer das Buch aufmerksam liest, der ahnt, dass das nicht der Fall war. Frau Oskamp war Fußpflegerin mit ganzem Herzen, sie gehörte zum Team des Studios, nicht eine Minute hat man als Leser das Gefühl, dass hier voyeuristische Elemente im Text enthalten sind. Das Buch ist das Ergebnis einer Fußpflegerin, die ihre Begegnungen und zwischenmenschlichen Erlebnisse niedergeschrieben hat und nicht das Ergebnis einer Journalistin, die mal einen Ausflug in die soziale Schicht der Dienstleister machte, um darüber eine Reportage zu schreiben. Das Buch ist wunderbar, voller kleiner Feinheiten, immer mit einem liebevollen Blick auf den Menschen, niemals von oben herab. Wir steigen ein, in die Welt der Fußpflege – und dass ich dieses Buch dennoch gut finde, will wirklich was heißen, denn ich mag Füße nicht, auch keine Zehen, schrecklich! Man muss durch, durch die Beschreibung der Arbeitsabläufe – aber komischerweise fand ich das hier nie eklig, sondern okay, normal. Die Kundschaft, die zu Frau Oskamp kommt, ist selten aus der oberen Gesellschaftsschicht, logisch, es ist ja auch der Stadtteil Marzahn, der früher zur DDR gehörte und in dem Plattenbausiedlungen stehen. Der Wohnraum ist günstig, ein Teil der Leute, die dort wohnen, sind die, die damals als Erste in diese Wohnungen zogen – sie sind heute also alt und gebrechlich. Mehr und mehr ziehen auch junge Familien in die durch den natürlichen Kreislauf des Lebens nun vermehrt freiwerdenden Wohnungen, da die Miete bezahlbar und die Umgebung recht grün und sicher ist. Die Kundschaft setzt sich hauptsächlich aus alten Menschen zusammen, die ihre Füße ihr Leben lang viel gebraucht und wenig gepflegt haben. Der regelmäßige Besuch bei der Fußpflege ist für sie in ihrem doch oft tristen Rentnerdasein ein absolutes Highlight. Sie bekommen hier eine Stunde lang einen Menschen gegenübergesetzt, der sich ausschließlich um sie kümmert. Nicht hektisch, wie vielleicht der Mobile Pflegedienst, sondern ruhig, gelassen, voller Zuwendung. Für manch einen ist diese Stunde die einzige Stunde in einem Zeitraum von ca. 6 Wochen, in der er von jemandem berührt wird. Das ist Wellness für die Füße und für die Seele. Frau Oskamps Geschichten gehen ans Herz, nehmen einen mit hinein ins echte Leben einer Großstadt, in der eines der großes Probleme auch ist, dass alte Menschen vereinsamen, weil sie alleine sind und kein soziales Netz mehr um sich haben. Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, die jetzt aber keine großen Sprünge machen können und dennoch den Spaß am Leben im Großen und Ganzen nicht verloren haben. Es ist für mich ein Buch, das voller Herzenswärme ist, in einem wunderbar passenden lakonischen Stil geschrieben. Dieses Buch lehrt einen mehr über das echte Leben als manches Lehrbuch. Jeder Berliner Politiker sollte das als Pflichtlektüre durcharbeiten, um zu verstehen, was in der Gesellschaft, die nicht nur die Sonnenseiten des Lebens kennt, so passiert. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Frau Oskamp durch ihre Arbeit als Fußpflegerin, sozusagen im Dienst an der Basis der Gesellschaft, so viel erlebt hat, dass sie extrem gut qualifiziert wäre, Frau Merkel abzulösen als Bundeskanzlerin. Das wäre mal eine Politikerin, die wirklich weiß, was in ihrem Land vor sich geht.

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