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SternchenBlau

Posted on 11.5.2020

„Das Tor“ ist keine einfache Lektüre. Basma Abdel Aziz erzeugt mit ihrem äußerst nüchternen Stil die Beklemmung, die Diktaturen als ganz eigenes Unterdrückungsmittel zelebrieren. Dieses Geschichte könnte in so vielen aktuellen oder historischen Diktatorien, Aziz nutzt den fiktiven, antiutopistische Anteil nur gelegentlich als Brechung, was sicherlich der Zensur in ihrem Heimatland Ägypten geschuldet ist. Diese Nüchternheit und Präzision sind gewollt, für mich: „It’s not a bug, it’s a feature.“ Und der Stil erinnert mich neben der Reportage auch an Berichte von Menschenrechtsorganisationen, die das Grauen dokumentieren und durch die Nüchternheit umso eindringlicher werden. Die Autorin kennt diese Form sicherlich aus ihrer Arbeit als Menschenrechtsaktivistin, dazu ist sie als Psychiaterin ebenfalls den Bericht als Form gewöhnt. Es gibt eine medizinische Akte ein entscheidendes Gerüst für die Geschichte. Das Dokumentarische steht bei diesem Roman im Vordergrund, trotzdem kommen wir als Lesende auch immer in die Köpfe der zahlreichen Protagonist:innen. Denn Reportage „gewährt auch Beobachtungen und weiteren Sinneswahrnehmungen ihrer Protagonisten Raum“. Multiperspektivisch bekommen wir so Einblick in „Die Warteschlange“, wie der Originaltitel des Romans heißt, vor dem Tor und darin, wie Unterdrückung funktioniert. Das Buch ist eine Blaupause dafür, was Diktaturen jenseits von Gefängnis, Folter und Tod als Unterdrückungsmechanismen anwenden. Aziz zeigt zuallerforderst bürokratische Mittel. Das scheint doch erstmal sanfter, keine Stromschläge auf nackten Körper, aber diese sanfteren Unterdrückungsmechanismen wirken sich manchmal ebenso schwer auf die Betroffenen auswirken, denn fehlt dir ein Stempel oder ein bestimmtes Dokument, eine Bestätigung über „die wahre Staatsbürgerschaft“, kannst du unzählige Sachen eben nicht machen. Wie eben Yahya, einer der Hauptprotagonisten, durch solch ein fehlendes Papier sich nicht jener Operation unterziehen darf, um die Kugel aus seinen Bauch zu entfernen. Aber welche Kugel denn eigentlich? Desinformationkampagnen durchziehen das ganze Buch. Nein, auf die Leute die Einheiten des Tores hätten auf niemanden geschossen, doch, es gab Gefechte, aber das seien ausländische Kräfte gewesen. Dazu kommen die Absurditäten: „Das Gespräch wurde von den Nachrichten unterbrochen, in denen es hieß, dass einige Verantwortliche ernsthaft prüften, an überfüllten Orten Sonnenschirme aufstellen zu lassen, um den Bürgern Erleichterung zu verschaffen, damit sie sich beruhigten.“ Ein weiteres eher stilles Verbrechen ist das Verschwindenlassen, das ein eigenes Menschenrechtsvergehen darstellt. Auch in „Das Tor“ sehen wir, wie sehr das Verschwindenlassen die Menschen verunsichert. Dieses Nicht-Wissen bezieht sich auf alles, denn die Protagonist:innen erfahren vieles ebenso wenig, wie wir als Lesenden. Zum Beispiel, was es mit dem Tor genau auf sich hat. So wird diese Verunsicherung für die Lesenden nachvollziehbar. Ja, und diese Beklemmung ist nicht „schön“ zu lesen. Dazu kommt, dass wir im Erzählen dazu ja meist eine klassische Heldenreise gewöhnt sind (bewusst die männliche Form, denn die weibliche Form gibt es idealtypisch nicht). „Das Tor“ hingegen folgt weitgehend einem Non-Plot (obwohl ja doch einiges passiert), weil es genau das ist, was das Tor ausmacht: Das Warten. Das passt zwar zur Geschichte, machte es aber nicht einfacher zu lesen. Ich hatte vor zwei, drei Jahren einmal gelesen, dass Dystopien eigentlich nur eine Form von Eskapismus seien, die verhindern, dass wir uns mit den echten Problemen auseinandersetzen: Rechtsradikalismus, Populismus, Klimakrise, etc. Seitdem lässt mich dieser Gedanke nicht mehr los. Aziz findet für dieses Problem eine spannende Form, dagegen anzuschreiben, denn die Nüchternheit verhindert jede Form von Eskapismus. Beklemmend! Und dazu ein sehr wichtiges Buch. Aber nicht einfach zu lesen, daher empfehle ich das Buch allen, die sich auf nicht-klassische Formen einlassen können und wollen, und vergebe sehr gute 4 von 5 Sternen.

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