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mojosabine

Posted on 9.5.2020

Die Geburt ihres ersten Kindes bedeutet den Tod der jungen Künstlerin. So dramatisch, gleichzeitig symbolisch, aber auch vereinfachend, könnte das Schicksal Paula Modersohn-Beckers umrissen werden. Die Französin Marie Darieusseq versucht mit Hiersein ist herrlich eine Annäherung und nimmt dabei die widrigen Umstände in Augenschein, welche eine Frau zu überwinden hatte, um sich im Kunstbetrieb der Jahrhundertwende zu etablieren. Wer nicht von reichen Eltern, Ehemännern oder Gönnern unterstützt wird, hat keine Chance zu reisen, um sich zu bilden. Paula M. Becker macht es trotzdem. Sie bettelt, borgt, spart, um monatelang in Paris Kurse bei bekannten Künstlern zu besuchen, auch als sie bereits mit dem Maler Otto Modersohn verheiratet ist. Er kann seine Bilder verkaufen. Sie nicht. An den Akademien wird Frauen eher klargemacht, dass sie sich die Kunst am besten abgewöhnen sollen. Daran können nicht einmal der Dichter Rilke, mit dem Paula befreundet ist, oder ihr Mann etwas ändern, zu dem sie nach einigem Ringen doch wieder zurückkehrt. Darieusseq interessiert sich zudem für die bis heute diskutierte Un/Möglichkeit Künstlerin und Mutter gleichzeitig zu sein. Die Bekanntschaft mit dem Werk der Malerin macht sie erst, als das Gemälde einer im Liegen stillenden Frau auf der Einladung zu einem psychoanalytischen Colloquium auftaucht. Sie spürt die Wahrhaftigkeit dieser Pose, die sie aus eigener Erfahrung als Mutter kennt. Diese von männlichen Projektionen befreite Sicht auf den weiblichen Körper fasziniert die Autorin. Auch Paulas Wahrnehmung von armen, ausgegrenzten Frauen, die sie aus dem Waisenhaus und Altenheim als Modelle engagiert, scheint ihr vielsagend: „Eine Frau malt Frauen“. Und sie malt „für sich“, weil sie nicht ausstellen, nicht verkaufen kann. Auf diesen Bildern erkennt Darieusseq die begrenzten Bewegungs- und Entfaltungsräume von Frauen damals, die vor allem Kinder aufziehen müssen und angewiesen werden, sich selbst für andere aufzugeben. Deshalb blicken die auf den Porträts Abgebildeten so ernst. „Kleine Mädchen wissen schon, dass die Welt nicht ihnen gehört.“ Die Autorin rekonstruiert das intensive Leben Modersohn-Beckers von den Rändern her, zitiert Briefe von Verwandten, die Worte Rilkes und Tagebucheintragungen der Malerin, belässt vieles in Stichworten und Aufzählungen, interpretiert manchmal den Gehalt einzelner Ausdrücke, entwirft Szenen aus bloßen Andeutungen. Nichts wird auserzählt. „Wenn man die Tagebücher übereinanderlegt – von Rilke, Otto, Paula und Clara -, ergeben sich Lücken. Die einen sprechen nicht von dem, was die anderen ansprechen. ... Und durch all diese Lücken hindurch schreibe ich nun meinerseits diese Geschichte auf, nicht das gelebte Leben der Paula M. Becker, sondern lediglich das, was ich davon wahrnehme.“ Als das Tagebuch abbricht, konzentriert sich Darieusseq auf die Malerei. Hierbei erfahren wir, dass Paula die erste Frau in der Kunstgeschichte ist, die sich selbst nackt malt. Und die erste, die sich selbst schwanger malt. Die es uns ermöglicht, einen weiblichen Blick auf den weiblichen Körper zu werfen und ihn anders zu verstehen als - wie bisher - von männlichem Begehren überlagert. Paula stellt Frauen weder kitschig, noch verklärt, noch erotisch aufgeladen dar: „Sie hat den männlichen Blick abgestreift.“ Sodann lästert Darieusseq über die zahllosen, missratenen, von Männern gemalten Jesuskinder, während Modersohn-Becker „echte Babys“ malen konnte. Doch vor allem ihre Ausführungen zu den Dichtungen Rilkes und Celans, die sie miteinander verbinden will, sind ärgerlich und unnötig. Beeindruckend allerdings ist eine Szene im Essener Folkwangmuseum, das, als die Autorin es besuchte, anscheinend im Umbau war. Oben fand sie Highlights moderner Kunst vor, alle von Männern geschaffen. Unten, in einem niedrigen, schlecht beleuchteten Raum waren die Werke von Künstlerinnen untergebracht. Im toten Winkel hinter einem Fernsehgerät hing Paulas „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“. Darieusseq macht daraus ein Gleichnis für den Umgang mit der Kunst von Frauen bis heute. „Ob es eine weibliche Kunst gibt, weiß ich nicht, aber die Malerei von Männern ist überall vertreten.“ Daneben wäre noch die damalige Medizin anzuklagen, die es nicht verhindern konnte, dass eine junge Frau mit 31 Jahren an Lungenembolie sterben musste. „Schade“, war das letzte Wort der Künstlerin. Ein Jahr nach ihrem Tod erfolgt Modersohn-Beckers erste Ausstellung.

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