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mojosabine

Posted on 9.5.2020

Die Seiten des Suhrkamp-Bandes von Enis Maci sind dick angestrichen, mit Bleistiftnotizen und Rufzeichen versehen. Indiz dafür, dass in „Eiscafé Europa“ Bemerkenswertes zu finden ist. Und man staunt, dass eine unterdreißigjährige Autorin derart präzise denkt und formuliert, indem sie das wuchernde Terrain des Internets als Arbeitsinstrument nützt. Eindrucksvoll gelingt das in ihrer Beschäftigung mit den Selbstinszenierungen der Identitären Bewegung, im besonderen junger rechts gerichteter Frauen. Sie sollen Werte, wie Familie und Weiblichkeit repräsentieren, die Sorge um ein rein deutsches Vaterland. Maci analysiert dabei nicht nur Texte, sondern vor allem Images, welche diese von sich selbst für ihre Follower produzieren, ihre Kleidung, Frisuren, Schminktechniken, um schließlich deren Unzulänglichkeit festzustellen: „Ihre Art sich zu schminken sprach die Sprache der Drogerien... der Badezimmer ohne Tageslicht“. Maci folgert, dass die Travestie ein zentrales Verfahren rechtsradikaler Rhetorik darstelle. Das mache Kritik und Sprechen über rechte Bewegungen problematisch, da deren Strategie darauf ausgerichtet sei, sich mittels der medialen Berichterstattung, die über sie gemacht wird, wie ein Virus zu vervielfältigen. Ein Problem beim Arbeiten mit Materialien aus dem Netz, auf das Maci auch stößt, ist, dass die meisten Profile dieser Influencerinnen inzwischen gelöscht wurden, sie also auf eine Nacherzählung des Gesehenen und Analysierten angewiesen ist, indem sie auf Notizen zum Zeitpunkt ihrer Sichtbarkeit zurückgreift. Überhaupt wird in Macis Vorgehen die Definition einer Quelle maßgeblich erweitert. Alles gilt, solange aufgezeigt wird, woher das Material kommt, und aus welchem Grund daran gezweifelt werden kann. So verarbeitet die Autorin ihre Lektüren von Literatur und Theorie, Wikipedia-Artikel, eigene Erinnerungen, Erinnerungen der Eltern an das Herkunftsland Albanien, Volkslieder, Facebook-Seiten und Instagramprofile, Songs, Make-up, Schulwissen, Erfahrungsberichte, Gespräche, Nachschlagewerke, reflektiert dabei Funktionsebenen des Mediums Internet, beschreibt die zuweilen erschwerten Zugänge zu Buchwissen und nimmt Bezug auf archivierten Web Content in der Wayback-Maschine. Interessant ist auch, dass die Eltern als Wissensquellen und Vorgänger der Ich-Erzählerin miteinbezogen werden, als Übermittler von Traditionen, die für Maci genauso zum Material ihres Reflektierens werden. Die Autorin nennt das „Geschichten aus zweiter dritter vierter Hand“. Stets legt sie offen, wie ihre Quelle funktioniert und gibt nicht vor, dies wäre verbürgtes Wissen und daher bedenkenlos. Es wird aber auch nicht aussortiert, sondern, indem sie seine Herkunft beschreibt, miteinbezogen. Maci verwendet dafür den Ausdruck „unbequellt“, der aus der Wikipedia-Welt stammt. Auf diese Weise zeigt sie sämtliche Bestandteile auf, die Schreibenden heutzutage für eine Recherche zur Verfügung stehen, um neuerlich ein zusammenhängendes Ganzes an Text zu erzeugen und damit diese Zugänge unsichtbar zu machen. Maci führt vor, wie Fakten und Wissen erzeugt werden, blickt sozusagen ins Innere der Wissensproduktionsmaschine unserer Tage. Spannend ist in diesem Sinne auch Macis Manie, die Wikipedia-Diskussionen von Editoren zu verfolgen, zuzusehen, wie „Fakten“, welche „Wahrheit“ garantieren sollen, „hergestellt“ werden. Dass dieser gigantische Apparat hauptsächlich von Männern betrieben wird, welche hierarchisch organisiert sind, und dass daher die Themen stark männlich geprägt sind, lässt ohnehin an diesen Quellen zweifeln, sobald man einmal hinter ihre Kulissen schaut. Dazu finden sich in „Eiscafé Europa“ treffende Aphorismen, eine Menge Fußnoten, auch sie eher spielerisch und unakademisch, sowie ein doch immer wieder behauptendes Ich, das sogar aus einem Sprechen über Wimperntusche und Contouring intellektuelles Potential zu schlagen versteht. Toll! Das Internet ist versuchsförmig, heißt es zum Schluss. Macis Essays entsprechen diesem Aggregatzustand.

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