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stricki

Posted on 8.5.2020

Klara und der Stalinismus. Lesehighlight 2020! Juri wäre nicht der geworden, der er ist, wenn Rubins Jugend nicht so ausgrenzend, hart und voller Entbehrungen gewesen wäre. Und Rubin hätte ein ganz anderer werden können, wenn er nicht mit vier Jahren seine Mutter Klara verloren hätte. Isabelle Autissier beschreibt das Leben dreier Generationen einer Familie im Russland von 1950 bis heute. Sie beginnt am Totenbett des Vaters. Der sanfte Vogelliebhaber Juri stattet seinem erbarmungslosen Vater Rubin letzte Besuche ab, nachdem er sein Leben lang von ihm drangsaliert wurde und so früh wie möglich die Flucht ergriffen hatte. Rubin bittet ihn, die Geschichte seiner Mutter Klara zu rekonstruieren. Diese wurde 1950 unter Stalin verhaftet und verschleppt und ward nie wieder gesehen. Das Buch entführt tief in die Werdegänge der drei Personen, und jede Lebensgeschichte ist spannend und faszinierend, alle entwickeln einen unglaublichen Sog. Man mag das Buch nicht mehr weglegen. Da ist die mutige Wissenschaftlerin Klara, der böses Unheil widerfährt. Weil im Stalinismus kein Platz war für Widerworte, für Loyalität, für Ehrlichkeit. Es war eine Zeit des Misstrauens, des puren Überlebens. Keine gute Zeit für eine naive junge Frau, sie muss bitter dafür bezahlen. Zurück bleibt ein viel zu weicher Ehemann, der sich gar nicht richtig um den kleinen Rubin kümmern kann, der in seinem Schmerz gefangen ist. Rubin macht seinem Namen alle Ehre und wird hart wie ein Edelstein. Gar nicht gut für seinen Sohn Juri, der mehr nach dem Großvater kommt. Unglaublich die Zeit auf dem Fischkutter, die der junge Juri unter seinem Kapitänsvater erleben muss. Phantastisch die Zeit im Gulag, als Klara täglich nach Uran suchen muss und sich mit den Nomaden der kleinen Insel anfreundet, auf der sie gestrandet ist. Eine fast glückliche Zeit, nach endlosen Verhören, die sie fast gebrochen hätten. Ein ganz wunderbares, kluges, ereignisreiches, intensives Buch!

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