Matzbach
Keine klassische Rezension, eher Gedanken zum Roman: Eigentlich ist es ein zutiefst trauriges Buch, das Robert Menasse mit "Die Hauptstadt" geschrieben hat. Warum traurig? Ganz einfach, er beschreibt das Scheitern einer schönen Utopie. Was hatten die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht für Hoffnungen in die Verpflichtung auf gemeinsame Werte gesetzt. Der Krieg, der Holocaust, das waren Erfahrungen, die für kommende Generationen ausgeschlossen werden sollten. Doch was wurde daraus? Menasse beschreibt in seinem vielschichtigen Roman im fiktiven Detail, wie diese großartige Idee heute in der Realität zu einer Legende geworden ist, die nur noch der Legitimation zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen dient. Im Kleinkrieg der Kommissionen bleiben humanistische Ideale auf der Strecke, der Moloch EU hat seine Bürger aus den Augen verloren. Nationale Interessen verhindern große Entwürfe und bewirken letztendlich Stillstand. Es ist das Verdienst Menasses, seinen Lesern diesen Zustand der EU vor Augen zu führen. Es gibt genug berechtigte Kritik, doch sollten wir darum keineswegs die Europaidee den Populisten überlassen, die sie schlichtweg begraben würden. Im Gegenteil, die Konsequenz sollte ein stärkeres Engagement für Europa sein, und zwar eines, dass nicht durch anonyme und nicht demokratische legitimierte Kommissionen geführt wird, sondern eines das seine Bürgern wieder in den Fokus nimmt.