Babscha
Barry Cohen ist angesehener und smarter Hedgefondsmanager an der Wall Street, verheiratet mit seiner schönen Frau Seema und lebt ein standesgemäßes Leben auf der Überholspur voller Luxus und Protz. Leider gibt es da ein paar kleine Schönheitsfehler, zum einen der drohende Absturz des von ihm verwalteten Investmentfonds aufgrund einer selbstverursachten Fehlspekulation, dann die Börsenaufsicht, die Wind von seinen Insidergeschäften bekommen und ihn bereits ins Visier genommen hat, und sein dreijähriger schwer autistischer Sohn Shiva, der so gar nicht in sein tolles Weltbild passt und damit seine Ehe vor eine Zerreißprobe stellt. Barry wird alles zu viel, er lässt kurzerhand den ganzen Laden hinter sich und checkt in Downtown auf den Greyhound ein, Ziel Richmond, Virginia, wo er hofft, seine Jugendliebe Layla wieder zu treffen und mit ihr den damals gescheiterten gemeinsamen Zukunftsplänen neues Leben einzuhauchen. Was an dem Buch zunächst mal richtig gut gefällt, ist der gnadenlose Humor und Sarkasmus sowie die Milieukenntnis, mit denen der Autor hier das dekadente, durchgeknallte, im Grunde elende Leben der New Yorker Neu- und Superreichen einfängt, eine von labilen Netzwerken gehaltene Welt, in der sich in permanentem argwöhnischen gegenseitigen Beäugen alles einzig darum dreht, sich und sein Vermögen bestmöglich zur Schau zu stellen. Auch die Hauptfigur ist zunächst ziemlich pointiert als ungeliebter Sohn eines jüdischen Poolreinigers aus der Bronx, der früh seine Mutter verliert, ein einzelgängerischer Nerd, eigentlich immer nur auf der Suche nach Freunden, die er aber nie wirklich findet, sondern später, zu Geld gekommen, durch fragwürdige Beziehungen und Obsessionen und ein exzessives Leben kompensiert, dabei aber nie glücklich wird. Ihm echte Tragik zuzusprechen oder Mitleid zu haben wäre allerdings völlig überzogen, dafür agiert er trotz seiner unterentwickelten Persönlichkeit und oftmals Hilflosigkeit immer noch viel zu berechnend und auf seinen persönlichen Vorteil bedacht. Wir begleiten Barry auf seiner Greyhound-Odyssee durch die Südstaaten der USA bis nach Kalifornien, auf der er viele eigenwillig-kaputte Typen kennenlernt und erfahren gleichzeitig in stetig wechselnden Kapiteln, wie sich die Dinge zuhause bei Frau und Kind so weiter entwickeln und da liegt ebenfalls so einiges im Argen. Shteyngart versucht in seinem insgesamt recht unterhaltsamen und aufgrund erstklassiger Übersetzung flüssig lesbaren Roman, mal mehr mal weniger gelungen, ein ganz großes Ding zu präsentieren, eine Biografie des menschlichen Scheiterns auf allen Ebenen vor großer Kulisse zu Zeiten der Trumpschen Machtübernahme, gleichzeitig eine Art Roadmovie im Stil von Kerouacs „Unterwegs“ (was auch im Buch selbst anklingt) und nicht zuletzt den Zerrspiegel einer degenerierten Gesellschaft mit Reduzierung vor allem auf Triebbefriedigung in allen Lebenslagen, zuvorderst natürlich bei seinem Hauptdarsteller (was irgendwann irgendwie etwas nervig und unglaubwürdig wird). Insgesamt zwar kein großer Wurf, aber ein durchaus gut gemachter Roman mit einigem Unterhaltungswert, der sich glücklicherweise selbst nicht so richtig ernst nimmt.