travlinbone_nika
Du wolltest es doch! Nicht selten wird Opfern die Schuld an der Tat zugeschrieben. Nicht nur von der Gesellschaft, sondern auch auf Seiten der Rechtslage. Als #VictimShaming wird dieses katastrophale Phänomen in der heutigen Zeit benannt. Welche fatale Auswirkungen dies nicht nur, aber insbesondere auf die beschuldigten Opfer hat, zeigt Louise O’Neill schmerzhaft realistisch auf. Ihr Buch klärt auf literarische Art auf, wie der Jetzt-Zustand ist, es aber nicht sein sollte. Vorab war ich skeptisch, was mich in dem Buch erwarten würde. Gehört hatte ich viel positives, aber auch bereits kritische Stimmen. Von daher war ich gespannt, welche Emotionen Du wolltest es doch in mir auslösen würden. Nunja, was soll ich sagen? Beim Lesen kam ich des öfteren an einen Punkt purer Verzweiflung über das Gelesene. Ich wollte und konnte einfach nicht glauben, was ich da las. Doch dann hielt ich inne und fing an Nachzudenken. Über eigene Erfahrungen: Am liebsten würde ich meine Erinnerung mit den Worten „Zwar habe ich nur…erfahren“ einleiten. Das erlebte runterspielen und als Lappalie darstellen. Doch fängt nicht bereits hier das Problem an? Klein machen unserer eigenen Erfahrungen, weil wir Angst vor den Reaktionen anderer haben. Dass wir als lächerlich gelten, uns über so etwas zu „beschweren“. Im Vergleich zu so vielen anderen Frauen und Mädchen war es natürlich nur eine Kleinigkeit. Aber für mich persönlich dennoch Prägend genug, dass ich heute, gut 5 Jahre später hin und wieder nach wie vor daran zurückdenke. Immer wieder spiele ich die Szene in Gedanken nach, mit dem Unterschied, dass ich diesmal „Lass das!“ sage, und die Hand von meinem Oberschenkel weg schiebe. Damals habe ich stumm ausgeharrt. Doch es ist wichtig, uns allen bewusst zu machen, dass wir nicht so mit uns umgehen lassen sollten. Wir sind ein starkes Geschlecht, dass selbst darüber entscheiden darf, wer uns wie und wann berührt. Über Erfahrungen von Freundinnen: Eine Freundin, die von der Rechtslage in die Opferrolle gedrängt wurde, weil sie eine sehr offene Art gegenüber Menschen an den Tag legt. Ein männlicher Freund war zu Besuch, der plötzlich mehr wollte. Sie hatte Glück, ihre Eltern waren Zuhause und reagierten. Doch als die Polizei eingeschaltet wurde, nutzte der Junge seine Chance und stellte sich selbst als Opfer dar: Besagte Freundin flirtet oft und gerne mit Freunden, ist offenherzig (Du wolltest es doch!). Schnell wurde ihre Opferrolle in Frage gestellt. Scheinbar unwichtig hierbei, dass sie offensichtlich Nein gesagt hatte, egal was vorher war. Ihre Eltern mussten eingreifen, um schlimmeres zu verhindern. Selbst Monate später hatte sie noch Probleme in Bezug auf sexuelle Aktivitäten, bei denen sie aus freien Stücken einwilligte. Nur weil wir vorher (scheinbares) Interesse zeigen, ist das keine Freikarte, wenn wir später Nein sagen. Fazit Dieses Buch rüttelt den Leser wach, regt ihn zum Nachdenken an und kann so hoffentlich ein wenig für das polarisierende Thema sensibilisieren. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen dieses Buch lesen werden. Frauen, um den Mut zu finden, präventiv Nein zu sagen oder im Nachhinein die Kraft zu finden, zu ihrer Opferrolle zu stehen (denn das ist oft mindestens genauso schlimm für Betroffene wie der Vorgang selbst). Männer, um zu erkennen was in dieser grausamen Welt immer wieder vor sich geht und an unserer Seite für eine Besserung einzustehen.