breonna
Der Titel mag sich ein wenig nach Chronik oder Geschichtsbuch anhören, aber was John Higgs hier vorlegt, ist alles andere als trockene Weltgeschichte. Es ist auch kein locker-leichtes Herumalbern mit Kuriositäten eines Jahrhunderts, wie ein Blick auf das schräge Cover vermuten lassen könnte. Vielmehr ist es wirklich eine Reise; eine Reise durch fast alle denkbaren Gebiete von den Naturwissenschaften über Psychologie, Malerei, Politik, Literatur, Musik bis hin zu den Neuerungen des digitalen Zeitalters. Im 20. Jahrhundert war aber auch einiges los! Zwei Weltkriege sorgten für gewaltige politische Umbrüche (oder waren eine Folge dieser), Gesellschaften und Denkweisen veränderten sich grundlegend, in vielerlei Hinsicht wurden alte Muster aufgebrochen und es gab wissenschaftliche Entdeckungen, die die Welt verändern sollten. Einsteins titelgebene Relativitätstheorie war nur eine davon. Das alles in einem Buch unterzubringen, ist natürlich nicht möglich, aber John Higgs hat sich ein sehr buntes Sammelsurium herausgepickt. Ich muss sagen, das Buch hat mich überrascht. Anfangs war ich genervt, weil zwar jedes Kapitel ein Schlagwort als Überschrift trägt, das den Inhalt grob trifft, der Text aber dann oft sehr weit ausholt, Abstecher macht, um das eigentliche Thema herum mäandert, Brücken zu anderen Kapiteln schlägt, aber lange nicht zum Punkt kommt. Erst im Laufe des Buches habe ich verstanden: Genauso wie diese Texte, so ist auch unsere Welt im Laufe des 20. Jahrhunderts geworden: Alles ist miteinander verbunden, kein Ereignis, keine wissenschaftliche Erkenntnis, keine künstlerische Strömung existiert einfach so losgelöst von ihrer Zeit. Und nachdem ich das erkannt und mich an die Herangehensweise gewöhnt hatte, mochte ich das Buch sehr. Den Schreibstil fand ich unterhaltsam, intelligent und weit entfernt von langweilig. Einziger Kritikpunkt: Das Buch spiegelt trotz offensichtlich umfassender Recherchen natürlich die Perspektive des Autors wieder. Ich fand seine Erklärungen sehr plausibel und erhellend, aber ich kann als Kind der 80er auch nicht behaupten, mich im 20. Jahrhundert besonders gut auszukennen. Ein anderer Autor hätte die Dinge vielleicht ganz anders dargestellt und mich trotzdem überzeugt. Darüber hinaus konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Fokus stark auf den Entwicklungen in Europa, Russland und Nordamerika liegt und der Rest der Welt zu kurz kommt. Hier trifft wohl wieder das große, sich durch das ganze Buch ziehende Thema zu: Das Beobachtete hängt von der Perspektive des Betrachters ab. Alles ist relativ. Alles in allem ein sehr lesenswertes, anspruchsvolles und trotzdem unterhaltsames Buch.