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Bris Buchstoff

Posted on 23.4.2020

Chani (wie Honey gesprochen) Kaufman ist eine von acht Töchtern einer chassidischen Familie und wächst in einem ultra-orthodox-jüdischen Umfeld auf. Einerseits stützt und hilft sich die Gemeinde, wo es nur geht. Es gibt eine unglaubliche Gemeinschaft. Andererseits sind die Regeln der Thora GESETZ. Und dieses muss unter allen Umständen befolgt werden. Eine Flucht aus diesem gerade für junge Frauen sehr rigiden Leben gibt es nicht. Es gibt nur Hoffnung auf ein anderes Leben - als Ehefrau. Doch wie finden sich orthodoxe Paare? Wir kennen alle die Geschichten von "Kupplern" und "Kupplerinnen", netter ausgedrückt Heiratsvermittlern in den unterschiedlichen Kulturkreisen. Schadchen werden sie im Jiddischen genannt. Sie sollen helfen, zusammenzuführen, was zusammen gehört. Aber zusammen gehören heißt nicht unbedingt, dass sich positive Gefühle einstellen. Passend heißt hier doch eher, ein gottgefälliges Leben zu führen und was das wiederum ist, entscheidet auch der Rabbi der Gemeinde. Doch manchmal passiert es, dass ein junger Mann wie Baruch Levy auf verbotenen Wegen eine junge Frau erspäht, die ihn auf den ersten Blick so fasziniert, dass er sie kennen lernen möchte. Kennenlernen heißt im Fall von Chani und Baruch erst einmal, die vorgeschriebenen Rituale einzuhalten und ein offizielles Treffen über das Schadchen herbeizuführen. Dreimal treffen sich die beiden, dann ist klar, dass sie heiraten werden - und mit der Hochzeit beginnt das eigentliche Kennenlernen erst ... Unterstützt werden die beiden blutjungen Menschen von Rabbi Zilberman und seiner Frau, der Rebbetzin, um Ängste und Unsicherheiten aufzulösen. Das andere Geschlecht ist sowohl Chani als auch Baruch komplett fremd. Geben sich jüdisch- orthodoxe Mädchen und Jungen noch nicht einmal die Hand zur Begrüßung, so gibt es auch sonst keinen körperlichen Kontakt. Was für beide eine Flucht in ein anderes, freieres, aufregenderes Leben sein soll, wird auch von beiden als durchaus beängstigend empfunden. Die Rebbetzin Zilberman versucht Chani über vieles aufzuklären, doch steckt sie selbst in einer Sinnkrise. Aus Liebe hatte sie sich entschlossen, streng gläubig zu leben und damit ihrem Mann zu folgen, der sich während seines Studiums immer mehr angenommen fühlte durch die jüdische Glaubensgemeinschaft. Beide wurden nicht orthodox erzogen und kannten sich schon vor der Eheschließung, lebten sogar bereits zusammen. Rabbi Zilberman geht auf in seiner Rolle, verlässt sich komplett auf die Thora, verliert dadurch aber den Blick für das Wesentliche - und das bekommt vor allem seine Frau zu spüren. Eve Harris kennt die jüdisch-orthodoxe Welt aus ihrer Lehrtätigkeit an jüdisch-othordoxen Mädchenschulen. Diese Zeit erschien ihr, wie sie selbst sagt, als verstörend. Dabei hat sie als Tochter eines Holocaust-Überlebenden durchaus Bezug zur Aufrechterhaltung der jüdischen Traditionen, die in der Absicht erfolgten, eine sog. Assimilation, die angeblich zu den furchtbaren Verfolgungen im 20. Jahrhundert geführt haben sollen, erneut zu verhindern. Was aber aus diesen sehr strengen Regeln ersteht ist eine gewisse Abgrenzung nach außen. Eine Welt, in die man nur Zutritt bekommt, wenn man sich vielen Regeln unterwirft. Aufweichung der Regeln gibt es nicht. Aufweichung der Regeln bedeutet auch Verstoß aus der Gemeinschaft. Das soziale unterstützende Miteinander existiert nur für Gemeindemitglieder, ein für die Rebbetzin mit der Zeit immer schwerer zu ertragender Fakt. Die Regelkonformität ihres Mannes zermürbt sie an den Stellen, an denen es um Empathie und Menschlichkeit geht. Sie empfindet und handelt, ihr Mann legt die Thora aus und gehorcht. Für die Rebbetzin gibt es wohl nur einen Weg in die Freiheit und eine größere Menschlichkeit: raus aus Gemeinschaft. Die Hochzeit der Chani Kaufman ist kein eingleisiger Roman, der sich nur mit den Ängsten unaufgeklärter junger Menschen befasst. Bei weitem nicht. Es ist ein Roman über (blinden, gehorsamen) Glauben, menschliches Urteilsvermögen, Freiheit und das Erfüllen bzw. Aufbrechen von Rollen. Eve Harris hat in einem Interview, in dem die Interviewerin fragte, ob ihre orthodoxen Freunde ihr bei den Recherchen geholfen hätten, kurz angebunden geantwortet, sie gäbe deren Namen nicht preis. Ein Schutzmechanismus, der mich erstaunt zurück ließ. Tatsächlich frauenfeindlich bzw. frauenverachtend ist auch die orthodoxe Ausprägung des Judentums nicht, aber eben auch nicht emanzipationsfördernd. Weder den jungen Frauen, noch den jungen Männern gegenüber. Erstaunlich auch die Tatsache, dass die jungen Menschen sich doch recht klaglos in ihre Rollen fügen. Gottgerecht leben wollen und ihren Eltern damit Freude bereiten. Ein bißchen Rebellion kommt ab und an durch neugierige Mädchen wie Chani oder hartnäckig für ihre Liebe kämpfende junge Männer wie Baruch auf. Sie werden hoffentlich einen anderen, einen freieren Weg gemeinsam und für sich alleine finden, als die Eltern, die glauben ein gewisses Soll zu erfüllen zu haben. Großartig ergänzt wird dieser erstaunliche, überraschende und äußerst einnehmende Roman durch ein ausführliches Glossar der jiddischen Begriffe. Einmal in die Geschichten um die verschiedenen Personen eingetaucht, mag man das Buch nicht mehr weglegen. Muss man doch dringend wissen, was Chani und Baruch weitertreibt und woher Rabbi Zilberman und seine Frau, die Rebbetzin, kommen und wieso sie so wurden, wie sie sind. Vielschichtig zeigt Eve Harris die unterschiedlichen Facetten ihrer Figuren und lässt uns Leser ganz dicht teilhaben.

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