SternchenBlau
„Was aber, wenn wir Hebel fänden, mit denen wir mehrere Probleme gleichzeitig angehen könnten? Hebel, die zwar viele Gewissheiten infrage stellen, es uns aber erlauben, statt reaktiv eine schlechte Zukunft abzuwehren, proaktiv eine wünschenswerte Zukunft zu gestalten?“ Mit solchen Fragen am Anfang und einem eleganten, verständlichem und eingängigem Stil bin ich innerhalb nur eines Tages durch Maja Göpels Buch geflogen. Solche Visionen brauchen wir und Göpel appelliert an jede:n von uns, selbst etwas zu tun. Sie plädiert aber zudem für politische Lösungen jenseits einer rein individuellen Verantwortung. Auch, wenn hier noch ganz viel zu tun bleibt, damit wir die Klimakatastrophe noch abwenden können, und politische Entscheidungsprozesse bereits viel zu lange dauern, bleibe ich am Ende von „Unsere Welt neu denken“ doch hoffnungsfroh zurück. Und gerade damit wir uns engagieren, brauchen diese Hoffnung. Göpel arbeitet als Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, zudem ist sie Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Größere Bekanntheit erlangte die Wissenschaftlerin, als sie Anfang 2019 den Aufruf der „Scientist for Future“ mitgestartet hat, den knapp 27.000 Wissenschaftler:innen als Unterstützung für „Fridays for Future“ unterzeichnet haben. In diesem Buch geht es aber nicht nur um die Klimakrise. Es geht gegen das Höher, Schneller, Weiter unserer Gesellschaften im Allgemeinen. „Die weltweiten Krisen in Umwelt und Gesellschaft sind kein Zufall. Sie offenbaren, wie wir mit uns und dem Planeten umgehen, auf dem wir leben. Wenn wir diese Krisen meistern wollen, müssen wir uns die Regeln bewusst machen, nach denen wir unser Wirtschaftssystem aufgebaut haben. Erst wenn wir sie erkennen, können wir sie auch verändern – und unsere Freiheit zurückgewinnen.“ Göpel schreibt absolut schlüssig, so schlüssig, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie jemand ihrer Argumentation nicht folgen kann. Schon die Kapitel sind klar aufgebaut, an ein elektrisierendes Zitat schließt sie jeweils ihre Ausführungen zum Thema an und fasst es am Ende in einem prägnanten Absatz zusammen. Diese Zusammenfassungen sollten wir Politik und Wirtschaft ins Poesiealbum kleben – aber auch uns selbst. Göpel zerlegt die Mär vom Markt, der angeblich alles regeln können soll, was ja selbst schon in der Theorie der Ökonomie nie so ganz funktioniert hat. Sie kritisiert die sogenannten „Philanthropen“, die ihre Milliarden ganz nach Gutdünken einsetzen. Aber auch wir im globalen Westen leben über die Verhältnisse der anderen: „Diejenigen, die aufgrund ihrer ressourcenintensiven Entwicklung in der Vergangenheit heute das Vermögen haben – auch im Sinne der Befähigung –, mehr zu tun, müssen es auch tun. Denn den anderen steht diese einfache Entwicklung durch massive Extraktion nicht mehr offen. Das ist Gerechtigkeit anstatt Großzügigkeit.“ Die Wahrheiten, die Göpel ausspricht, sind umbequem. Viele möchten das lieber nicht sehen oder es wird gleich versucht, Göpels ökonomische Analysen in eine bestimmte Richtung zu schieben. Am Tag, an dem ich ihr Buch lesen, veröffentliche die FAZ einem Artikel, in dem Göpel stark in den Bereich „linksradikal“, „Kapitalismus-Kritik“, „für CDU rotes Tuch“ gerahmt wird. „Als Politökonomin nenne ich Trends & mögliche Lösungen“, antwortet Göpel darauf. Daher möchte ich betonen: Es geht nicht um Ideologie, wenn Göpel feststellt, dass die Menschheit über ihre Verhältnisse lebt. Wir müssen dieser Tatsache ins Auge sehen, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Göpel bringt viele Ansätze zusammen und ihr umfassender Blick hat mir richtig gut gefallen. Für Menschen, die sich schon länger mit Thema beschäftigt, gibt es inhaltlich nicht so viel Neues. Aber Göpel verbindet viele Aspekte und ihre Argumention liest sich so elektrisierend wie elegant. Und sie gibt immer wieder Gründe, warum es sich zu kämpfen lohnt. Daher empfehle ich „Unsere Welt neu denken“ dringend weiter und vergebe 5 von 5 Sternen.