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Babscha

Posted on 22.4.2020

Unglücklich sind sie alle, jeder auf seine Weise. Nämlich die Menschen, die die Autorin uns hier im Buch vorstellt. Sie alle leben in einer namenlosen Stadt irgendwo in Deutschland und wir begleiten jeweils einen kurzen Ausschnitt ihrer Leben an besagten 221 Tagen in den Monaten September bis April. Da sind Mark und Sarah, er ein von seiner zunehmend gefühlskalten Frau genervter Tagträumer, sie, verbissen in einem unerfüllten Kinderwunsch, letztlich an der laufenden gemeinsamen Paartherapie genauso desinteressiert wie ihr Mann. Dann Andrea, Sarahs ungeliebte Mutter, eine chaotische, ihren Lebensfrust in Alkohol ertränkende Atelierkünstlerin, die ihrer Tochter von klein auf vehement verheimlicht, wer ihr Vater ist (der dann aber später doch noch vorgestellt wird), und dadurch die Hauptverantwortung für die gescheiterte, immer angespannte Mutter-Tochter-Beziehung trägt. Dann Somai, eine junge Frau aus Thailand, verwitwet aus einer mit einem Deutschen arrangierten Ehe und von daher mit Bleiberecht, die versucht, sich über einen Küchenjob im Restaurant ihres Onkels zusammen mit ihrer vierjährigen Tochter irgendwie durchzubeißen. Tobias, ein in Trennung lebender und um das Sorgerecht für seine Tochter streitender Architekt und trockener Alkoholiker, der versucht, sein Leben auf die Reihe zu kriegen. Und Sascha, ein smarter, eloquenter Arzt im städtischen Klinikum, zusammen mit seiner Frau auf der Überholspur des Lebens, den es dann als ersten aus der Bahn werfen wird. Sie alle laufen hier in dem kurzen Zeitfenster der Erzählung immer weiter aufeinander zu und werden dann an einem schicksalhaften Tag im April aufeinandertreffen. Um es kurz zu machen: Ich bin begeistert. Von der ruhigen, aber kunstvollen, eindringlichen Sprache des Buches, die es schafft, den Leser sofort mitzunehmen und abtauchen zu lassen in diese verschiedenen Leben, die Ängste, Wünsche und quälenden Gedanken seiner Protagonisten. Von den intensiven, messerscharfen Dialogen der Personen untereinander. Von der zeitgemäßen Alltäglichkeit der verschiedenen hier in Szene gesetzten familiären Lebenssituationen. Und von der Buchidee generell, hier keine epischen Entwürfe zu entwickeln, sondern auf gut 200 Seiten einfach nur einen kurzen Zeitabschnitt im Leben verschiedenster Menschen zu skizzieren, der dann auch schlagartig wieder vorbei ist und dem Leser viel Raum für Vergleiche, Bewertungen und Spekulationen über mögliche weitere Entwicklungen lässt. Ein tolles Buch, echte Überraschung und unbedingte Leseempfehlung

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