sursulapitschi
Dieses Buch habe ich gründlich unterschätzt, vielleicht weil es einen so niedlichen Eindruck macht, dabei ist es alles andere als das. Im 18.Jhd. ist gar nichts niedlich am unteren Rand der Gesellschaft. Hier wird die bemerkenswerte Geschichte eines Dienstmädchens erzählt, das es schaffte, sich aus ärmsten Verhältnissen hochzuarbeiten, das trotz ihres Standes und ihres Geschlechtes durch Talent, Fleiß und Zähigkeit weltberühmt wurde. Das Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud kenn jeder, dass ihr Leben hart und ein einziges Abenteuer war, ahnt niemand. Natürlich haben wir hier eine Romanbiographie, bei der sicherlich einiges dazuerfunden wurde, trotzdem musste ich mehrfach Wikipedia befragen, weil ich wissen wollte, ob ihr Leben wirklich so verrückt gewesen sein kann oder ob der Autor vielleicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist. Sie erzählt höchstselbst, Marie Grosholtz, und breitet ihr ganzes Leben aus von der Kindheit bis ins hohe Alter und kommt dabei vom Elsass über Bern nach Paris und London, aber ein Spaziergang war das nicht. Sie zeichnet gerne und hat überall den Text ergänzende Bleistiftzeichnungen eingefügt. Und weder in Wort noch im Bild beschönigt sie etwas, zeigt die Dinge, wie sie sind, auch wenn sie bisweilen makabre Züge haben. Man braucht schon eine sehr spezielle Gleichmut, um mitten in der französischen Revolution frisch geköpfte Schädel in Wachs zu gießen. Marie war eine Dienerin, eine Zeichnerin, eine Künstlerin, Gespielin einer Prinzessin, eine Gefangene und ein Freigeist. Ihre Geschichte ist wechselvoll, unterhaltsam, wunderbar erzählt und hat einen sehr eigenen leicht morbiden Charme. Und neben Maries persönlicher Geschichte bekommt man noch die französische Revolution höchst anschaulich vorgeführt mit all ihren Abgründen. Großartig! Eine dicke Empfehlung für dieses wunderbare Buch, ganz eigen, sehr speziell, ein Erlebnis.