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Geistesgift

Posted on 20.4.2020

Wahrscheinlich bin ich sehr empfänglich für dieses Buch, denn es geht um Bäume und ich liebe Bäume, aber die ganzen Preise, die es eingeheimst hat, sprechen dafür, dass ich damit nicht ganz alleine bin. Der Roman spielt in den USA und verfolgt mehrere Protagonist*innen von ihren Ursprüngen bis ins Alter, dabei hat jede*r von ihnen eine persönliche Beziehung zu Bäumen. Es geht um Aktivismus, wie radikale Überzeugungen zustande kommen und vor allem darum, wie kurzsichtig Menschen ihren Umgang mit der Umwelt organisieren. Immer wieder spielen die Verarbeitung von Schmerz und Trauer eine Rolle. Wer unter Eco Anxiety oder Climate Grief leidet, wird sich hier gut einfinden. Streckenweise hatte ich das Gefühl, einen 600-seitigen Abgesang auf einen einst bewaldeten Kontinent zu lesen. Die Faszination für Bäume und Wälder klingt durch das ganze Buch, mal ihn ehrfürchtigen, mal in zärtlichen Tönen. Die Positionierung gegenüber der Menschheit ist durchgehend ambivalent, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und ratloser Verzweiflung. Das Buch ist sehr emotional geschrieben und wer Natur- und Ökokitsch nicht abkann, wird sich damit streckenweise schwer tun. Wer aber wie ich einen Soft Spot für den Bombast der nicht-menschlichen Welt und die wahnwitzige Beziehung der Menschheit dazu hat, hat hier einen strukturell wie sprachlich reizvollen Roman, der sich darauf versteht, die Perspektive auf menschliche Zeitrechnung gerade zu rücken.

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