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Patricia

Posted on 20.4.2020

***TRIGGERWARNUNG Der Roman enthält explizite Darstellungen von Esssucht und Bulimie!*** In Hang Kangs Roman begegnen wir Menschen, die sich alle nach einer Sache sehnen: Zuneigun, menschlicher Nähe. Sie alle lernten bereits in ihrer Kindheit, eine Rolle zu spielen. Angefangen beim Künstler Jang Unhyong, dessen Manuskript wir durch die Augen einer Schrifstellerin lesen. Seine Schwester rief sie an, bat sie, das Manuskript zu lesen. Sie verstehe ihren Bruder nicht, wollte herausfinden, ob das Manuskript Hinweise zu seinem Verbleiben enthält. Unhyong wächst in einer kalten, von falscher Wahrheit geprägten Familie auf. Schnell wird klar, dass er gezwungen war, früh erwachsen zu werden. Dinge wie maskenhaftes Lächeln der Mutter, falsche gegenseitige Liebesgeständnisse der Eltern und die für den Künstler blutige, verstörende Geburt der jüngeren Schwester verdrehen seinen Verstand, seine Sicht auf die Welt. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Jeder trägt eine Maske. So lernen wir in seiner Künstlerlaufbahn Frauen kennen, die durch männliche Gewalt in eine verzerrte Form ihrer selbst gedrängt wurden. Es gibt keinen Zwischenzustand. Eine Extreme führt zur nächsten. Da wäre das übertrieben fette Mädchen, welches ein Jahr später durch ihre Bulimie gezeichnet ist. Oder die Innenarchitektin, welche als Kind wegen ihres sechsten Fingers kein normales Leben führen konnte. Unhyong faszinieren diese Frauen. Sie verbergen etwas, geben sich perfekt, sind es tief in ihrem Inneren aber nicht. Fast schon besessen von ihnen und ihrem Geheimnis, besessen davon, hinter die Maske zu blicken, lässt er sich auf beide ein. Hier wird provokativ und schonungslos ehrlich von den Schattenseiten des vermeintlich perfekten Lebens geschrieben. Wie die kaputte Kindheit einen kaputten Menschen hervorbringt und zwischenmenschliche Beziehungen verkompliziert, fast schon unmöglich macht. Egal, wie robust die eigens konstruierte Maske ist, irgendwann zerbricht sie und zeigt die verletzte Seele darunter. Unhyong begleitet diese Frauen, versucht eine Beziehung einzugehen. Dabei kann er seine eigene Vergangenheit nicht vergessen und scheitert letztendlich immer wieder. Seine Kunst wird zum Ausdruck seines sehnlichen Wunschs nach Nähe und Liebe. Die Sprache ist gewaltig, atmosphärisch, direkt. Dennoch gefiel mir die Beschreibung des fetten Monsters mit den wogenden, schwabbeligen Fettwülsten überhaupt nicht. Auch wenn der Künstler sich in diesen unperfekten Körper mit den grazilen Händen verliebt, die Beschreibungen gehen unter die Gürtellinie. Ob hier nun Kritik am Frauenbild in Korea, dem Schönheitsideal oder der Gewalt durch Männer besteht, die Szenen der essgestörten L. sind für einen vorgeschädigten Leser nicht geeignet. Ich hätte mir für dieses Buch eine Triggerwarnung gewünscht.

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