
mrstrikehardt
Das Buch ist eine faszinierende Mischung aus autobiographischer Familiengeschichte und einer alle Seiten beschädigende Liebesbeziehung kombiniert mit den sich im Kleinen abspielenden Wirrungen der Weltgeschichte. Letztere führt den Autor und Filmemacher Carrère von Paris nach Kotelnitsch, eine trostlose, heruntergekommene Kleinstadt im russischen Nirgendwo. Er erhofft sich viel bei der Enträselung des Schicksals eines ungarischen Soldaten, der mehrere Jahrzehnte in der psychiatrischen Anstalt verbringt, von allen vergessen wird und dabei sich selbst vergisst. Er verlernt die Muttersprache, erlernt nicht Russisch - er bleibt stumm und verblödet. Diese Stummheit interessiert Carrère, weil er ihr selbst zu entgehen versucht, indem er manisch liebt und schreibt und beides miteinander kurzschließt. Da bei der Liebe zwei Personen nötig sind, führt seine Selbstbezogenheit zu Verletzungen, die nicht unbeantwortet bleiben. Ein Teufelskreislauf, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt außer durch Trennung. Carrère ist hier schonungslos gegenüber Sophie, seiner Freundin, und gegenüber sich selbst in der Beschreibung seiner Gedanken und Taten. Das überschreitet die Grenzen des Zumutbaren hinein ins Manische und hat mich an einigen Stellen abgestoßen. Das Buch ist ein Experiment, das für mich als Leser insgesamt "gelungen" ist, was schwerfällt zuzugeben, angesichts der zahlreichen Opfer, die es am Ende gibt.