bastilkarton
"Woyzeck" habe ich als Schullektüre im Rahmen meines Deutschunterrichts gelesen, da es schon lange Teil des literarischen Kanons ist. Ich muss zugeben, dass mir lange Zeit verborgen geblieben ist, warum Woyzeck kanonisiert worden ist- anfangs wirkte es auf mich ein zusammenhangsloser Kauderwelsch, um es leider sehr drastisch zu formulieren. Doch je mehr ich mich mit dem Text und dem historischen Woyzeck auseinandergesetzt habe, desto mehr Verständnis habe ich aufbringen können- für Woyzeck, für das Drama und für die Entscheiden, ebendieses in den literarischen Kanon aufzunehmen. Meinung; Die Sprache hat mich vor einige Herausforderung gestellt. An sich war es nicht allzu schwer zu verstehen, doch der tiefere Sinn der Szenen und Geschehnisse blieb mir lange Zeit verborgen. Die Abfolge der Szenen kann tatsächlich von Ausgabe zu Ausgabe variieren, was daran liegt, dass es sich einerseits um ein offenes Drama handelt, anderseits aber Georg Büchner so früh verstorben ist, dass Woyzeck nur aus Fragmenten bestand, die im Nachinein zusammengefügt worden sind, nachdem das Schriftstück fast gänzlich verschwunden ist. So fragwürdig ich Woyzeck als Charakter zunächst fand, desto größer wurde mein Mitleid mit jedem Tag, mit dem ich mich mehr mit dem Werk beschäftigt hatte. Er ist eine geschundene Seele- vom Leben ausgebeutet, psychisch krank, arm und mittellos, ohne Aussicht auf die Verbesserung der Lebensumstände und grundsätzlich von allen Menschen ausgenutzt. Mich hat an dem Drama gestört, dass ausnahmslos alle Charaktere hinterlistig waren oder unkollegiales Gedankengut hegten. Sie waren missgünstig und egoistisch, und mir fehlte einfach die Varietät zwischen den Figuren. Etwas Abwechslung hätte dem Drama nämlich gut getan. Einerseits hatte man Woyzeck, der ein betrübliches Leben führte und andererseits die ganzen Personen um ihn herum, die seine Lage nur noch schlimmer machen. Der Doktor, der fragwürdige Experimente an ihm durchführt und zwar einerseits fachkundig zu sein scheint, anderseits immer absolut überdramatisiert, Ängste schürt und und unseriöse Untersuchungen durchführt. Der Hauptmann, der, man muss es so sagen, ziemlich dumm war und zu viel Zeit hatte, etwas, das Woyzeck fehlte, der ebendiesen herumkommandiert und ausgenutzt hat, wo es nur ging. Und dann seine Freundin Marie, die seine Liebe nicht wertschätzt und ihn verletzt, anlügt und hintergeht. Man konnte einfach nicht anders, als Mitleid mit Woyzeck zu haben- aber ich frage mich, ob Mitleid jemals Basis der Beziehung zu einem (fiktiven) Charakter sein sollte. Das Stück wurde vor allen Dingen kanonisert, da es erstmals einen Menschen der Unterschicht, dessen betrübliches Leben als Stadtsoldat ohne Aufstiegschancen wirklich nicht verbessert werden kann, in den Vordergrund gestellt hat. Somit war es damals nah am Zahn der Zeit und trug zur Aufklärung bei- sicherlich ein guter Gedanke, der erklärt, warum es so wichtig ist, das Stück noch heute so ausführlich zu besprechen. Dennoch kann ich nicht vergessen, dass ich einige Dinge zunächst schlicht und ergreifend nicht verstanden habe- ich erwähne da nur die Erbsen, die Woyzeck konsumieren muss oder die Katze, die der Doktor an einer Stelle aus dem Fenster wirft. Für alles gibt es eine Erklärung- doch um diese zu finden, muss man sich meiner Meinung nach lange mit dem Stück auseinandersetzen. Ich denke, dass es das wert ist, da ich gerade die Verknüpfungen mit Georg Büchners Leben und dem Leben vom historischen Woyzeck, der wie der Woyzeck aus dem Buch eine psychische Krankheit hatte und somit als Vorlage für das Drama fundierte, sehr interessant fand und in meinem Allgemeinwissen nicht mehr missen möchte. Grundsätzlich muss man selbst entscheiden, ob man sich lange mit diesem Stück beschäftigen möchte, auch fernab des schulischen Kontextes. An sich ist es schnell gelesen und ist ziemlich augenöffend. Doch vorranging empfand ich Mitleid für Woyzeck und ich habe einige Zeit gebraucht, um den tieferen Sinn des Stückes zu offenbaren. Hat man diesen aber gefunden, ist das Drama definitiv lesenswert.