Ailyn
Die Inhaltsangabe lässt es vielleicht bereits erahnen: Auch Das Spiel der Götter 2: Das Reich der sieben Städte ist mitnichten leichte Kost und bedient sich zahlloser Figuren, Orte und Eigennamen, springt innerhalb der Kapitel munter von Ort zu Ort und von Kontinent zu Kontinent und sollte folglich mit höchster Aufmerksamkeit gelesen werden. Doch auch hier muss ich vorwegnehmen, dass sich die Mühe einmal mehr lohnt und der zweite Band dem Vorgänger wirklich in nichts nachsteht, wenn man einmal davon absieht, dass Blanvalet hier – wie schon von Das Lied von Eis und Feuer gewohnt – dazu übergegangen ist, die Originalausgabe in zwei Teile zu splitten (und trotzdem auf den beachtlichen Umfang von 500 Seiten zuzüglich Glossar und Figurenregister kommt) und man sich so, anders als in Die Gärten des Mondes, noch ein wenig bis zum Finale des eigentlichen Romans gedulden muss, wenngleich ein zugegebenermaßen dankbarer Schlusspunkt gefunden worden ist. Davon abgesehen, habe ich auch hier wieder rund hundert Seiten gebraucht, um mich wirklich in die Geschichte einzufinden, doch wer sich davon abgeschreckt fühlt, dem sei versichert, dass es durchaus keine Quälerei war, diese Seiten zu lesen, es sich hingegen lediglich so verhielt, dass diese Zeit vonnöten war, um wieder gänzlich in die Welt des malazanischen Imperiums hineinzutauchen und von da an war es ein regelrechtes Vergnügen, den unterschiedlichen Handlungssträngen zu folgen, die sich logischerweise auch irgendwann zu überlappen beginnen. Es war zu spät für den Vielwandler, der jetzt seinen Irrtum erkannte und versuchte, sich zurückzuziehen. Doch Icarium war unerbittlich. Ein durchdringendes Summen ausstoßend, stürzte der Jhag sich mitten unter die fünf übrig gebliebenen Leoparden. Sie stoben auseinander, jedoch nicht schnell genug. Blut spritzte, Fell- und Fleischfetzen fielen in den Sand. Innerhalb weniger Augenblicke lagen fünf weitere Leiber reglos auf dem Boden. Schwieriger zu verwinden war es da für mich, dass einige der mir liebsten Figuren in Das Reich der sieben Städte überhaupt nicht vorkommen, was sowohl den Brückenverbrenner Sergeant Elster und Kruppe, als auch Anomander Rake, Hauptmann Paran und die Zauberin Flickenseel betrifft, um nur einige zu nennen. Nichtsdestotrotz haben wir mit Felisin eine weitere Vertreterin des Hauses Paran in einer größeren Rolle, ebenso wie ich mich schnell mit den undurchsichtigen und gleichsam mächtigen Weggefährten Mappo und Icarium anfreunden konnte. Zumindest auf Seiten der Brückenverbrenner gibt es ein Wiedersehen mit sowohl Fiedler als auch Kalam, was mich natürlich zumindest ein wenig versöhnlich gestimmt hat, zumal ich zuversichtlich bin, noch einigen bekannten Gestalten erneut zu begegnen, wenn ich der Reihe sicherlich in den nächsten Jahren die Treue halten werde. Das wiederum steht außerfrage, denn Steven Erikson beweist erneut höchste Erzählkunst und versteht es, sein Epos in gewaltige, mitreißende Wort zu kleiden, die dank der kongenialen Übersetzung von Tim Straetmann auch im Deutschen nichts von ihrer Imposanten und wuchtigen Art einbüßen. Wie schon im Vorgänger darf man sich auch in Das Reich der sieben Städte auf göttliche Einmischung einstellen, auf das Erscheinen längst ausgestorben geglaubter Wesen wie den T’lan Imass und deren magischen Gewirren, die Erikson in mannigfacher Weise bemüht und die mehr als deutlich machen, welch ausgefeilte Weltenschöpfung seinem Fantasy-Epos zugrunde liegt, denn man hat nie das Gefühl, als würde der Autor hier etwas aus dem Hut zaubern um des bloßen Effektes willen, sondern nimmt ihm bereitwillig ab, dass sich schlussendlich alles zu einem nachvollziehbaren, verschachtelten und epischen Gesamtwerk fügen wird und sei es nur, weil die Erfahrungen mit dem ersten Band diese Lesart durchaus begünstigen. »Du bist abgestumpft, Mädchen«, hatte Heboric bei einem der wenigen Male gesagt, als er mit ihr gesprochen hatte. »Doch dein Hunger nach Gefühlen wird größer und größer, bis schließlich schon Schmerz genügen wird. Aber du suchst an den falschen Orten.« An den falschen Orten. Was wusste er denn schon von falschen Orten? Der hintere Abschnitt der Tiefen Mine war ein falscher Ort. Der Schacht, in den die Leichen geworfen wurden, das war ein falscher Ort. Alle anderen Orte sind schon fast gut genug. Fakt bleibt, dass Erikson sein Handwerk mehr als versteht und eine unglaublich düstere, mitreißende Story geschaffen hat, die den geneigten Leser spielend in ihren Bann zu schlagen weiß, so er sich denn bereit erklärt, die ersten Seiten schier blindlings durch eine Geschichte zu stolpern, die kaum Anknüpfungspunkte bietet an das zuvor Gelesene und hinterher dennoch so wirkt, als habe es nie einen Bruch gegeben. Auch Das Reich der sieben Städte ist folglich in meinen Augen ambitionierte wie anspruchsvolle, mitreißende, packende, epische und wort- wie bildgewaltige Fantasy, düster, erbarmungslos, voller Intrigen, Geheimnisse und Magie in einer Welt, die man erlebt haben muss, um sie nur annähernd fassen zu können.