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sinnesgleich

Posted on 5.4.2020

In „Flexen in Miami“ schafft der Autor Joshua Groß eine Welt, in der die tatsächliche und virtuelle Realität ineinander überschwappen. Die Ahnung, dass alles nur eine Illusion ist, ist allgegenwärtig. Zu vieles erscheint merkwürdig. Eine Drohne schwebt permanent vor dem Balkonfenster, die Klimaanlage kühlt die Räume stets auf unangenehme 18 Grad herunter und der Kühlschrank sorgt sich um die Cholesterinwerte des Protagonisten. Dieser heißt Joshua, und verkörpert den Stereotypen eines Millenials. Finanziert durch ein Stipendium, lebt er in einer kleinen Wohnung im hippen Miami. Getrieben von einer ständigen inneren Unruhe und der großen Frage „Wer bin ich, und wer will ich sein?“ bewegt sich sein Alltag irgendwo zwischen ständig aufs Handy schauen, Espresso kochen und kiffen. Zufällig wird er auf ein Onlinespiel namens „Cloud Control“ aufmerksam. Einen Avatar erstellen kann nur, wer all seine Daten bereit ist preiszugeben. Aus eben diesen generiert das Spiel Avatare, die wie die eigenen Social Media Kontakte aussehen. Kein Problem, oder? Da Privatsphäre in einer gläsernen Online Welt nicht länger ein vorrangiges Gut ist, klickt Joshua auf „bestätigen“ und meldet sich an. In einem Forum berichten auch andere Spieler über ihre Erfahrungen und es wird schnell klar, dass nicht alles in „Cloud Control“ mit rechten Dingen zugeht. Zunehmend werden die Avatare der Spiele von einer Art künstlichen Intelligenz, die Spams genannt werden, verfolgt. Diese sprechen eine unbekannte Sprache und lassen sich nicht auf Verhandlungen mit den Avataren ein. Die Spieler werden paranoid, fühlen sich plötzlich auch im echten Leben verfolgt. Zu beängstigend ist es in einer virtuellen Realität von Avataren verfolgt und ermordet zu werden, die wie die eigenen Freunde und Familie aussehen. So richtig unheimlich wird es, als die „Spams“ an ihren Opfern mystische Rituale zu vollziehen beginnen. „Jede Entscheidung ließ den Möglichkeitsraum ein Stück weit implodieren“ (S.83) Dann ist da noch diese Liebesgeschichte die, ganz klassisch für unsere Generation in der jeder Bindungsängste zu haben scheint, natürlich nur eine Affäre ist. Das Verhältnis zwischen Joshua und Claire ist ein Wechsel aus Sex und dysfunktionalen aber teils tiefsinnigen Gesprächen. Die Affäre bringt Bedeutung in Joshuas Leben und doch entwickelt sich nicht mehr daraus. Denn ständig lenkt einen etwas ab, in dieser Welt, in der man halb in der echten und halb in der virtuellen Realität existiert. Ständig wird etwas hochgeladen oder mal eben kurz das Handy auf Neuigkeiten gecheckt. Man möchte genervt sein von diesem ständigen nennen dieser Aktivitäten, bis einem bewusst wird, dass wir genau das jeden Tag selbst auch tun. Ganz unmerklich. Und einem fällt auf wie verdammt nervig das eigentlich ist. Man möchte Claire und Joshua rütteln, ihnen sagen sie sollen doch endlich mal bewusst miteinander Zeit verbringen und nicht ständig aufs Handy schauen. Im weiteren Verlauf lernt Joshua den Ex-Freund von Claire kennen, nachdem sich diese längst vom Staub gemacht hat. Aber eigentlich auch nicht richtig, denn manchmal schreiben die beiden noch miteinander. Die beiden Männer freunden sich an und verfolgen ein mehr als kurioses Ziel. Der Wahn des einen ist dabei stets noch größer als der des anderen. Und immer wieder wird das Spiel gestartet. Die Kontrolle entgleitet ihnen zunehmend, das Zwischenmenschliche bleibt auf der Strecke und alles geschieht in einem Zustand der sich irgendwo zwischen Wahn und Paranoia bewegt. Irgendwie passiert nichts außergewöhnliches und doch ist die Handlung nur schwer in ihrer Kuriosität zu überbieten. Alles bleibt offen und nichts wird abschließend geklärt. Das Ganze ist weniger Science-Fiction als eine Zuspitzung unserer heutigen Realität. Wenn auch komplett „over the top“, wie es so schön heißt, hält „Flexen in Miami“ unserer Generation ein wenig den Spiegel vor. Verwirrend, seltsam und doch wegen seiner Andersartigkeit unterhaltsam und lesenswert!

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