Profilbild von stinsome

stinsome

Posted on 3.4.2020

»Liebste Violet«, sagte ich hastig, und meine Stimme überschlug sich fast. »Du hast einen Anfängerfehler gemacht. Du hast die Schönheit vergessen. Eine Prinzessin ist nie hässlich. Jeder weiß, dass eine richtige Prinzessin immer schön ist.« Violet rührte sich nicht. Es war, als hätte ich sie in Stein verwandelt. Schließlich richtete sie ihre großen Augen auf mich. Oh, wie gekränkt sie war! Wie verraten sie sich fühlte! Ich schluckte. »In einer Geschichte, meine ich«, fügte ich rasch hinzu, aber es war zu spät. »Natürlich nur in einer Geschichte. Geschichten haben ihre eigenen Regeln, die Zuhörer haben ihre … Erwartungen. Es ist die Aufgabe des Erzählers, den Leuten zu geben, was sie wollen.« […] Von nun an waren die Prinzessinnen in ihren Geschichten schön. Immer. (S. 16f.) »Das Mädchen mit dem Herz aus Gold« ist aus einer interessanten Erzählperspektive geschrieben: der des königlichen Geschichtenerzählers. Er ist direkt in das Geschehen involviert, gleichzeitig jedoch auch allwissend, weiß, was die anderen Figuren fühlen, und erzählt von Handlungssträngen, in denen er körperlich selbst nicht anwesend ist. Mit ihm als Erzähler bekommt die Geschichte etwas Mystisches und ein bisschen etwas von einem Märchen. Unsere Protagonistin ist aber natürlich Prinzessin Violet – ein wildes, abenteuerlustiges Kind, das mit ihrem treuen Freund Demetrius geheime Gänge und Winkel im Schloss ausfindig macht. Sie ist klug, mutig, entschlossen und gütig, außerdem liebt sie das Geschichtenerzählen – ihre Geschichten sind sogar noch fantasiereicher und eindrucksvoller als die des königlichen Geschichtenerzählers. Sie hat sämtliche Eigenschaften einer Prinzessin – nur die Schönheit fehlt ihr, von der sie in Geschichten über Prinzessinnen immer wieder hört und liest. Als ein düsteres, böses Wesen (das für jüngere Leser die eine oder andere Stelle auch ein bisschen unheimlich machen könnte) aus seinem Gefängnis ausbrechen möchte, stiftet es Chaos und Zwietracht und die Menschen in Violets Umfeld beginnen, ihr angesichts ihrer fehlenden Schönheit mit unschönen Blicken und Bemerkungen zu begegnen. In ihr keimt immer mehr der Wunsch auf, wie die wunderschönen Prinzessinnen in den Geschichten auszusehen. Ein Highlight für mich war ihr treuer Freund und Begleiter Demetrius, der für sein Alter schon viel reifer ist als mancher Erwachsener. Ein bisschen schüchtern weiß er sich dennoch zu behaupten, er ist ehrgeizig und einfühlsam und kann sehr gut mit Tieren umgehen. Sein Verhalten gegenüber Violet fand ich von Anfang an einfach nur bezaubernd. Er ist immer für sie da, begleitet sie auf ihren Abenteuern und verteidigt sie gegenüber anderen, die unschöne Worte für sie übrighaben. Die Geschichte fand ich zu Anfang ein bisschen langatmig, das Geschehen zu langgezogen, bis es endlich zu der Stelle kam, die man aufgrund des Klappentextes erwartet: Dass Violet von besagtem bösem Wesen das Angebot bekommt, Schönheit im Austausch für einen Gefallen zu erlangen. Das ist nur ein kleiner Aspekt des Buches, der aber die richtige Botschaft sendet: Dass es auf die innere Schönheit eines Menschen ankommt. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass dies noch deutlicher aufgegriffen worden wäre und noch mehr im Mittelpunkt gestanden hätte. Es wird mir am Ende fast schon zu beiläufig und unterschwellig abgehakt. Obwohl es am Anfang sehr präsent war und viele Seiten verwendet wurden, um diesen „Deal“ mit dem Wesen vorzubereiten, hatte ich mit Beenden des Buches doch das Gefühl, dass es nur ein kleiner, nebenstehender Aspekt der Geschichte war. Trotzdem werden auch darüber hinaus ein paar Weisheiten eingestreut, die dem Buch einen Mehrwert geben. Die Idee der Geschichte ist an sich nicht sonderlich neu, erst in ihren Details ist sie originell. Beim Lesen hatte ich ein bisschen den Eindruck, dass ich eine Kurzgeschichte lesen würde, obwohl das Buch 381 Seiten hat. Das Geschehen geht schnell voran, kam mir fast schon gerafft erzählt vor, weil auf Einzelheiten verzichtet wird. Für eine Kindergeschichte fand ich das passend, es ist nicht überladen und auf das Wichtigste reduziert. Überraschungen gibt es keine nennenswerten, was ich aber auch nicht wirklich erwartet habe. Für jüngere Leser finde ich das Buch sehr süß, aber auch für Erwachsene kann die Geschichte vor allem gegen Ende spannend und interessant sein. Sie braucht aber ein bisschen, um Fahrt aufzunehmen. Fazit Ein sehr süßes Buch mit Mehrwert, wobei ich mir jedoch gewünscht hätte, dass die Grundbotschaft des Buches noch mehr im Vordergrund gestanden hätte – schließlich lockt der Klappentext damit. Trotzdem ist das Buch voll von kleinen Weisheiten und damit vor allem für jüngere Leser empfehlenswert. Ich vergebe 3,5 Sterne.

zurück nach oben