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Worum geht es? Ein New York in der Zukunft, geteilt in Licht und Dunkelheit. Dunkle Magier gefürchtet und geächtet, Lichtmagier privilegiert, angesehen und an der Macht. In ihrer Mitte ein Mädchen, das zwischen beiden Städten hin und her gerissen ist: Als Lichtmagierin in der Dunkelstadt geboren fühlt sich Lucie beiden Städten nicht wirklich zugehörig. In der Dunkelstadt wurde ihr ihre Mutter genommen und ihr Vater gefoltert, den sie nur durch Maskerade und List aus den Fängen der Lichtmagier retten konnte. Nun in der Lichtstadt, durch ihren Namen privilegiert, muss sie an der Seite ihres Liebsten, Ethan Stryker, dem Sprössling einer angesehenen, aber auch gefürchteten Ratsfamilie, ihre Maskerade weiter spielen, um die Menschen zu beschützen, die sie liebt. Auf der Rückkehr eines Wochenendtrips mit Ethan wird dieser auf einmal des Verrats beschuldigt und fast am Bahnsteig hingerichtet, wäre da nicht Carwyn, Ethans Doppelgänger, seine exakte Replik, der ihn durch sein Auftauchen vor dem Tod bewahrt. Aber damit fangen die Probleme eigentlich erst an … Meine Meinung Das wunderschöne Cover hat zuerst meine Aufmerksamkeit geweckt. Der Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit fängt die Thematik und die Magie der Geschichte perfekt ein, in ihrer Mitte unsere Protagonistin, die weder zu der einen noch zu der anderen Stadt wirklich dazugehört. Das Cover ist ein wahrer Blickfang und gehört vielleicht sogar zu meiner absoluten Top 10. Wirklich lesen wollte ich das Buch aber wegen der Autorin. Ich kannte sie bisher nur als Schreibpartnerin von Cassandra Clare (eine meiner zwei Lieblingsautorinnen!), war mir dadurch aber absolut sicher, dass das Buch nur klasse sein konnte. Als dann aber die ersten negativen Rezensionen eintrudelten, schraubte ich meine Erwartungen etwas herunter und … Bin nun etwas zwiegespalten. Ich verstehe die Kritik einerseits, weil ich nachvollziehen kann, was den ein oder anderen in diesem Buch missfallen könnte. Andererseits halte ich das Buch für absolut unterbewertet. Bei einer 3,7 Sterne-Bewertung frage ich mich doch, ob wir wirklich alle das gleiche Buch gelesen haben. An solchen Büchern zeigt sich, wie weit Geschmäcker auseinandergehen können. Als ich ¾ des Buches gelesen hatte, war ich wirklich positiv überrascht. Nicht nur hat mich der bildhafte Schreibstil fasziniert, der ungewöhnliche Vergleiche anbringt und sowohl die Licht- als auch die Dunkelmagie sehr anschaulich beschreibt, als würde man sich als Leser gerade mitten vor Ort befinden, auch das Worldbuilding ist originell und interessant. Aber nicht das war es, was mich völlig vom Hocker gehauen hat. Anfangs dachte ich noch, ich wüsste, wohin die Reise geht, aber Sarah Rees Brennan hat mich schnell eines Besseren belehrt. Sie spielt und bricht mit unseren Erwartungen, wo sie nur kann – sei es in Bezug auf die Handlung oder die Charaktere, die auf den ersten Blick stereotyp wirken mögen, es aber ganz bestimmt nicht sind. Angefangen bei der Protagonistin: In vielen Rezensionen wird Lucies Feigheit kritisiert. Gut, das kann ich einerseits durchaus verstehen, denn auch ich lese lieber aus der Sicht einer toughen Protagonistin, die sich für die Gerechtigkeit stark macht. Aber Lucie ist nun mal keine Katniss Everdeen und das ist auch gut so. Warum? Es ist mal etwas Anderes, nicht aus der Sicht eines Helden, sondern eines echten Menschen zu lesen. Wer hier das Wort „Feigheit“ liest und das Buch noch nicht gelesen hat, der malt sich wahrscheinlich die schlimmsten Schauergeschichten dazu aus, aber so ist es auch nicht. Lucie versteckt sich nicht feige im Schrank und hofft, dass andere sie beschützen. Sie kann sich durchaus verteidigen, sie kann kämpfen und läuft nicht ängstlich vor der Gefahr davon. Aber sie macht einen Unterschied darin, für wen sie kämpft. Nicht etwa für eine Veränderung und eine Rebellion (noch nicht) – lieber fügt sie sich nach außen hin, während sie insgeheim weiß, was richtig und was falsch ist –, sondern für die Menschen, die sie liebt, und für ihr eigenes Leben. Und das finde ich menschlich und realistisch, so würden sich die meisten von uns verhalten. Deshalb war sie als Protagonistin eine angenehme Überraschung, mit der ich mich oft identifizieren konnte. Die beiden männlichen Protagonisten – Lucies Freund Ethan und dessen Doppelgänger Carwyn – fand ich beide auf ihre Weise sehr interessant. Für viele ist Ethan der Langweilige von den beiden, aber eigentlich ist er mindestens genauso tiefschichtig wie Carwyn. Beide waren in ihrem Verhalten schwer einzuschätzen und wussten mich zu überraschen. Ethan, der wohlbehütet aufgewachsen, lieb, gut und vielleicht sogar naiv ist. Und Carwyn, der sich durch seine spöttische, herablassende Art sofort als typischen männlichen Protagonisten zu erkennen gab. Letzterer war trotz seiner (auf den ersten Blick) klischeehaften Charaktergestaltung sehr amüsant und hatte Unterhaltungscharakter, weshalb ich den Szenen mit ihm immer wieder entgegengefiebert habe. Einen kleinen Aussetzer gegen Ende hatte er, der für mich nicht zu ihm gepasst hat, aber das konnte er ganz am Ende wiedergutmachen. Wie die Charaktere vollzieht sich auch die Handlung nicht so, wie man es erwartet, und hält einige Überraschungen bereit. Nicht alles ist schwarz oder weiß, nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Diese Unberechenbarkeit der Story und ihrer Charaktere hat mich unglaublich fasziniert und in ihren Bann gezogen, sodass ich mich von den Seiten gar nicht mehr losreißen konnte. Es war wirklich spannend, weil alles passieren konnte. Kritik habe ich nur für das letzte Viertel der Handlung übrig, weil ich den Eindruck hatte, dass hier manches zu einfach (oder sagen wir: zu unspektakulär) gelöst wurde. Das ist ein bisschen ironisch, weil das Ende alles andere als ein Happy End ist. Bis zu diesem Punkt der Rezension dachte ich noch, dass es einen Folgeband geben würde (und hätte 4,5 Sterne gegeben!) - jetzt wurde ich gerade eines Besseren belehrt und bin etwas erschüttert, dass es sich um einen Einzelband handelt. Das ändert deshalb so vieles, weil Lucie gerade erst begonnen hat, ihren Charakter zu entwickeln, und ich gespannt war, was das nun im zweiten Band alles hervorbringt, aber so ... bin ich doch etwas enttäuscht. Ich hoffe wirklich, dass da noch etwas kommt. Fazit Für mich wäre es ein fast perfekter, undurchsichtiger und spannender Auftakt, wenn das letzte Viertel meine Euphorie nicht etwas gedämpft hätte - und es ein Auftakt und kein Einzelband wäre. Ich liebe das Worldbuilding, ich liebe die Unberechenbarkeit der Handlung, ich liebe die Twists. Und hoffe so sehr auf eine Fortsetzung, weil es die meiner Meinung nach braucht. Als Auftakt vergebe ich 4,5 Sterne, als Einzelband sinkt es leider auf 4 Sterne.