Susanne Matiaschek
“Tannenstein” wird als der Thriller schlechthin gehandelt und es war endlich an der Zeit mir mein eigenes Urteil zu bilden. Ich ging ohne Erwartungen heran und wurde hier definitiv auf mehr als einer Ebene komplett überrascht. Es war mein erstes Buch des Autors, aber ich kann jetzt schon versprechen, das es mit Sicherheit nicht mein letztes von ihm war. Tannenstein ist knallhart, präzise und blutig. Der Schreibstil ist sehr einnehmend, ungemein fesselnd und absolut bildhaft. Sowie der Wanderer in Aktion trat, war ich nicht mehr von der Geschichte wegzubekommen. Linus Geschke macht das wahre Grauen nicht nur sehr offensichtlich, sondern legt es auch zwischen den Zeilen hinein. Etwas was mich zum einen wirklich schockierte, aber zum anderen auch Stoff zum nachdenken gab. Interessant waren hier tatsächlich die Perspektiven. Denn immer wieder geraten andere Personen in den Fokus und man wusste niemals sicher , wer hier tatsächlich wichtig für das Geschehen werden würde. Einzelne Schicksale die immens unter die Haut gingen und mich wirklich beschäftigt haben. Man trifft auf Menschen, die Träume und Wünsche haben. Die sich nicht mit dem zufriedengeben, was sie haben. Sondern immer mehr,immer besseres herausholen wollen. Ist das schlecht? Nein, es ist menschlich und man kann sich unwahrscheinlich gut in sie hineinversetzen und es gut nachvollziehen. Besonders beeindruckend waren für mich persönlich der Wanderer und Alexander Born. Beides Menschen , denen jegliche Moral abhanden gekommen zu sein scheint. Doch wie lässt sich die eigentliche Moral genau definieren? Wie moralisch kann ein Mensch handeln und empfinden, der urplötzlich kaltblütig Menschen ins Jenseits schickt? Der Verlust und Trauer erfahren hat? Der unglaublich tiefen und intensiven Schmerz erfahren hat. Der scheinbar nichts mehr zu verlieren hat? Dahingehend waren für mich der Wanderer und Alexander übers interessante Figuren. Wer ist der Wanderer wirklich und was ist sein Motiv? Handelt er spontan oder liegt dem ganzen ein Plan zugrunde? Und das wichtigste überhaupt, um was geht es hier wirklich? Und dann noch Alex, ein Ex-Polizist der gern mal über Grenzen hinausschießt und sein eigenes Ding dreht. Alex eckt gerne mal an und doch mochte ich ihn wirklich wahnsinnig gern. Weil ich seine Beweggründe verstehen und auch nachvollziehen konnte. Er schießt gern blind um sich. Doch inwieweit ist das verwerflich. Kann man ihm einen Vorwurf machen, das er so voller Schmerz und Wut steckt und damit einen Rachefeldzug startet? Insgesamt fand ich alle Charaktere mehr als gelungen. Sie sind greifbar, tiefgründig und nicht einfach in Gut oder Böse einzugliedern. Linus Geschke gelingt es ausgesprochen gut, auch die Menschlichkeit in Ihnen zum Vorschein zu bringen. Etwas das dazu führt , daß man sie nicht einfach verurteilen kann. Jeder hat seine Dämonen, die ihn fertigmachen und das kommt hier wirklich sehr gut zum Ausdruck. Die Charaktere sind nicht plastisch, sie leben und verhelfen der Story zu sehr viel Ausdruck und Tiefe. Die Story ließ mir schon mit dem Auftauchen des Wanderers , die Nackenhaare zu Berge stehen. Fassungslosigkeit und Entsetzen war nur ein Teil davon, was ich empfand, als er in Aktion trat. Die Story war unglaublich spannend und sehr interessant zu verfolgen. Teilweise ist es nicht unbedingt für sanfte Gemüter geeignet, da es teilweise sehr blutig und brutal zugeht. Dies äußert sich nicht ausschließlich in den Gewalttaten selbst, sondern auch in dem , was die Menschen empfinden und erleben. Ja, was sie letztendlich ausmacht. Nicht nur die Charaktere sind sehr tiefgründig, auch die Story ist es. Die Hintergründe werden aufgedeckt und man erfährt unaussprechliches. Ich war wirklich entsetzt und es ging mir wirklich nahe. Ich empfand Wut, Abscheu und Angst. Die Verzweiflung das Kalkül das dem ganzen innewohnt, ist quasi durchweg präsent. Es entwickeltes sich eine kaltblütige und gnadenlose Hetzjagd, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse immer mehr verschwimmen. Man taucht in Abgründe ein, die man mit bloßem Auge nicht zu sehen bekommt, die jedoch sehr eindringlich und intensiv aufgezeigt werden. Vorderstes Motiv ist Rache, aber auch Korruption, Machtverhältnisse und Prostitution spielen hier elementare Rollen. Die Handlung ist sehr temporeich und hochspannend und komplex. Es spielt sich abwechselnd in Deutschland, Russland und Tschechien ab. Das intensiviert die Grundthematik der Story nur noch mehr. Ein Adrenalinschub jagt den nächsten und Linus Geschke gelingt es perfekt, Wendungen einzuweben, die mich vollkommen überrascht haben. Er geht nicht langsam an die brisanten Themen heran, er bringt es knallhart, kurz und knapp auf den Punkt. Ein Umstand den ich hier besonders geschätzt habe. Tatsächlich handelt es sich hier defintiv um keinen leichten Stoff, ich fand es sehr beklemmend und ausweglos. Die Blutspur, die Ängste zogen sich bis zum Schluss durch das Geschehen und haben mich niemals ganz losgelassen. Ich mag die Story, ich mag die Charaktere . Doch gleichzeitig wird auch klar, das noch Fragen offen sind und noch längst nicht alles auf den Tisch kam. Ich bin sehr gespannt wie es weitergeht und kann einfach nur für mich sagen, das der Autor es drauf hat, einen gnadenlosen Thriller zu offenbaren, der Jenseits von Gut und Böse liegt. Der mehr Schatten als Licht birgt. In dem man in die tiefsten Abgründe hinab taucht, um schlussendlich völlig gebrochen wieder hervorzukommen. Definitiv eine große Überraschung für mich. Fazit: Ein Wanderer , ein Ex- Bulle , der sein eigenes Ding dreht und eine Thematik, die Jenseits von Gut und Böse liegt. Tannenstein ist knallhart, präzise und blutig. Nichts für schwache Nerven , denn es geht hier ordentlich zur Sache. Ein Thriller der mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ und einiges an Stoff zum nachdenken mitgab. Ein Thriller der nicht in Schwarz oder Weiß einzugliedern ist, sondern in dem besonders die Nuancen dazwischen das wahre Grauen aufzeigen. Für mich eine große Überraschung , denn Tannenstein bringt alles mit, was ein guter Thriller brauch.