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gwyn

Posted on 31.3.2020

Der Anfang: «Lisbeth sieht sich selbst als Kind, als zehnjähriges Mädchen, in einem Hinterhof. Sie steht auf einer wackeligen Mülltonne aus Blech, damit sie dem Himmel näher ist. Eine schwarz-weiß gefleckte Katze sieht ihr zu.» Von Lisbeth, einer alleinerziehenden Krankenschwester, behauptet man, sie besitze das zweite Gesicht. Schon als Kind hatte sie Visionen und beschuldigte damals während einer Messe, den Schuldirektor: Er sei der gesuchte Serienmörder. Lange verfolgt sie das Trauma, mit ihren Vorahnungen umzugehen, der Stress, der Stress, den ihr die Visionen bereiten. Lisbeth ist einsam, denn sie wird von ihren Mitmenschen gemieden, da sie ihnen Angst macht. Ihre Behauptung damals löste noch weiteres Leid aus, in direkter Folge. Die Erinnerungen zwar versteckt, kommen sie doch nun tief aus dem Innersten heraus, als wieder ein Mörder umhergeht. «Draußen streift eine Katze vorbei, sie bleibt stehen, setzt sich und beobachtet neugierig das Spektakel im Abwasserrohr. Lisbeth fragt sich, ob es eine der verschwundenen Katzen ist. Oder ob sie nur Urlaub macht. Während ihr Herz schlägt. Wild und noch viel zu schnell. Und nicht weit davon entfernt ein anderes Herz aufhört zu schlagen.» Ich hatte mit diesem Roman meine Schwierigkeiten. Es ist ein Krimi, der Versuch, einen literarischen Krimi zu schreiben. Ich liebe literarische Krimis. Schauen wir uns den ersten Satz an: «… sieht sich selbst als Kind, als zehnjähriges Mädchen» … Rückblick, aber das zieht sich ellenlang durch den Roman: Erinnerungen. Ein Schreibstil, der dauerhaft auf der Bremse steht. Ein passives, monotones Schreiben in Erinnerung und Beobachtung, Spannung kommt hier kaum auf. Richard Lorenz konzentriert sich auf seine Figuren, geht tief ins Innenleben der Gedankenwelt. Hier haut er mächtig auf den Putz. Doch leider sind die Charaktere überzeichnet, überfrachtet bis ins Unglaubwürdige, zäh wie Melasse fließt die Geschichte dahin. Hier fehlt die Distanz zu den Figuren. «Natürlich haben sie nichts gefunden, wie er es schon geahnt hat. Keine Spur, nichts Brauchbares. Nur ein Haufen Merkwürdigkeiten, zwei frische Gräber und zwei Messer. Von der Münchner Kriminalpolizei sind sie hier gewesen.» Da das szenische Schreiben völlig fehlt, baut in dieser Form die Geschichte schwer zusammen. Dynamik, Bewegung und Interaktion ist durch das passive Schreiben ausgebremst, die Dinge, von denen ein Krimi lebt, auch ein literarischer Krimi. Bei diesem Schreibstil kann es nun nicht verwundern, dass die Spannung auf leiser Flamme kocht. Die Story an sich ist gut durchdacht, nur die Präsentation konnte mich nicht packen. Ich habe mich obendrein an vielen Sätzen gestoßen, denen Rhythmus fehlte, an umständlichen Formulierungen. Ein weiterer Tritt auf die Bremse ist die häufige Verwendung des Perfekts. Es gibt viel über alte Jazzmusik zu lesen, viele Komponisten, Interpreten. Wenn man kein Jazzfan ist, kann man mit diesen Passagen und Personen wenig anfangen. Genau hier habe ich gespürt, wie wenig Atmosphäre der Text ausstrahlt. Und Katzen! Immer wieder Katzen. Katzenfotos bringen Beifall im Netz, in Schriftform bremsen sie den Plot, zumindest in der Häufigkeit. Zusammenfassend also ein recht lahmer Krimi, der sich schon allein durch seine Erzählhaltung selbst ausbremst. Richard Lorenz, Jahrgang 1972, arbeitete zunächst in der onkologischen Pflege und Palliativmedizin, später als Konzertveranstalter / Booker sowie freier Journalist, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung Freising. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Nähe von München.

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