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gwyn

Posted on 31.3.2020

Der Anfang: «Es war der Hoffnungsschimmer einer religiösen Sehnsucht, es war der Heilige Gral der Wissenschaft. Unsere höchsten und niedersten Erwartungen wurden geweckt von diesem wahr gewordenen Schöpfungsmythos, diesem ungeheuerlichen Akt der Selbstverliebtheit. Kaum war es machbar, blieb nichts weiter übrig, als unserem Verlangen nachzugeben und auf die Folgen zu pfeifen. Pathetisch gesagt strebten wir danach, unserer Sterblichkeit zu entrinnen, Gott mit seinem perfekten Ebenbild zu konfrontieren oder gar zu ersetzen. Praktischer gedacht wollten wir eine verbesserte, modernere Version unserer selbst schaffen und die Freuden des Erfindens genießen, das Hochgefühl wahrer Meisterschaft.» Charlie, ein Anthropologe, ist ein Lebenskünstler, der sich seinen Lebensunterhalt mehr recht als schlecht mit Aktiengeschäften im Homeoffice verdient. Als er eine größere Erbschaft macht, könnte er sich ein Haus kaufen, entscheidet sich aber für einen Androiden. Er ist neugierig. Die in Folie eingewickelte Maschine heißt Adam – ein äußerst attraktiver «Mann» kommt zum Vorschein, der allerdings programmiert werden möchte, denn die KI, künstliche Intelligenz, soll ganz auf die Bedürfnisse des Besitzers installiert sein. Charlie ist besonnen, will sich die vielen Fragen durch den Kopf gehen lassen, holt sich die clevere Studentin Miranda zur Hilfe, die im gleichen Haus wohnt wie er. Er möchte Miranda ein auch wenig näher kommen, sieht hier seine Chance. Die junge Frau ist begeistert. Adam, nun voll einsatzfähig, erweist sich als gute Hilfe im Haushalt. Und er lernt jeden Tag etwas dazu. Die drei Protagonisten kommen sich täglich näher. Charlie und Miranda werden ein Paar – doch auch Adam verliebt sich in Miranda. Und das Pärchen ist von Adam fasziniert, der sich immer weiter vermenschlicht – sie haben bald Schwierigkeiten, ihn als Haushaltsroboter zu sehen. Aber auch als Anlageberater hat Adam Charlie bald den Rang abgelaufen. Adam entwickelt sich zu einer Persönlichkeit, hat schnell den Abschaltmechanismus eigenständig deaktiviert. Als Miranda Charlie bei ihrem Vater vorstellt, vorsichtshalber erwähnt, sie bringe außer dem Freund auch einen Androiden mit, stellt der Vater später fest, dass dieser Charlie doch ein netter Androide sei, fast wirklichkeitsnah. «Miranda, die Sozialgeschichte studierte und promovieren wollte, sagte, sie wünschte, die junge Mary Shelley könnte bei uns sein und mitverfolgen, wie nicht etwa ein Ungeheuer à la Frankenstein, sondern dieser attraktive junge Mann mit dem Bronzeteint zum Leben erwachte.» Eine Dreiecksgeschichte, die zwischen menschlicher Moral und mathematischer Logik hin und herspringt. Adam ist mit Gesetzen und Ethik gefüttert, die er konsequent anwendet. Er kennt keine Grauzonen. Was liegt höher, Gesetz und Ordnung oder Liebe? Welche Konsequenzen hat es, wenn immer nur logisch gehandelt wird – rücksichtslos, ohne Vorausschau. Was überhaupt ist Moral? Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Ian McEwan ist ein kluger Autor mit viel Humor, was er uns in all seinen Büchern bewiesen hat. Wie auch dieses Mal wieder. Ist ein solcher Android eine Persönlichkeit, die wir als Lebewesen zu respektieren haben? Sind uns Maschinen moralisch überlegen? Und wo geht uns Menschen diese Moral auf die Nerven, weil sie unserem eigenen Ego entgegensteht? Miranda hat ein kleines Geheimnis … Als Charly und Adam davon erfahren, setzt dies eine Kette von Ereignissen in Bewegung, die lediglich dem Strudel der Logik und dem von Recht und Moral folgen, was für das Paar bedrohlich wird. «Adam sah und verstand die Welt durch das Prisma seiner Persönlichkeit; und seine Persönlichkeit stand im Dienste seines objektivierenden Verstandes mit seinen Myriaden Updates.» Kann eine Maschine denken, leiden, lieben – Gefühle entwickeln? Die Geschichte ist spannend und amüsant, spielt in den 80-Ern in England und gibt so manchen Spott über diese Zeit frei, die der Autor auch frei verändert. Alan Turing ist noch am Leben und ist interessiert an den Prototypen der 85 Adams und Eve’s. Einige von den Androiden begehen Selbstmord, zerstören sich selbst. Sie fühlen sich nicht als Persönlichkeit wahrgenommen. Unser Adam dafür entwickelt ein sehr ureigenes Profil. Der Autor hält den Lesern den Spiegel vor: Eure Moral steht auf Papier in Gesetze gefasst. Aber bitte, wo wendet ihr sie an auf der Welt? Ihr schwört auf die Bibel, Menschenrechte und Grundgesetze – doch wenn es euch selbst betrifft, schaut ihr gerne weg. Aber machen tugendhafte, nie lügende Menschen die Erde zu einer besseren Welt? Kann man menschliches Handeln verbessern, indem man «Falsches» dem Androiden verbietet? Güte, Verzeihen, mit Maß zu urteilen, Mitleid, Konsequenzen des Handelns zu analysieren, weitreichende Abläufe einzuschätzen - auch das sind Komponenten, die den Menschen ausmachen – wie bringe sich das der Maschine bei?. Für mich ist dieser Roman außergewöhnlich gut gelungen, befasst sich in einer spannenden Story intensiv mit dem Thema Mensch und Maschine. Ian McEwan gibt eine Menge kluger Gedanken in die Runde. Was wollen wir für unsere Zukunft? Die Frage, ob der Adroid eine Maschine ist oder ein Wesen, wird zum Ende geklärt, zumindest für Ian McEwan. Meine Empfehlung – für alle Romane von Ian McEwan. «Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen besteht die einzige Möglichkeit, dem Leiden ein Ende zu setzen, in der kompletten Auslöschung der Menschheit.» (Adam) Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot, lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg «Abbitte» ist jeder seiner Romane ein Bestseller, zahlreiche sind verfilmt worden. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences. Er erhielt den Jerusalem-Preis für sein Gesamtwerk 2011, in der Kategorie «Unterhaltung» ging der Preis «Wissensbuch des Jahres‹« des Magazins «Bild der Wissenschaft» an «Solar», 2011, sowie für gleichen Roman der «Wodehouse-Preis», 2010.

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