feliz
Das Cover hat mich auf den ersten Blick ehrlich gesagt nicht so wirklich angesprochen, weil der pinke Hase auf dem hellen Hintergrund zwar auffällt, aber das Buch dadurch vielleicht ein wenig so wirkt wie viele französische Romane. Nach dem Lesen allerdings erscheint mir die Wahl außerordentlich passend, ohne zuviel Preis geben zu wollen. Die Geschichte klingt erstmal gar nicht so eindrucksvoll, reißt einen dann aber doch ab der ersten Seite mit: Ein zehnjähriges Mädchen lebt mit ihrem kleinen Bruder Gilles und ihren Eltern in einer Reihenhaussiedlung. Zwar leben sie im größten und hellsten Haus der Siedlung, doch das Leben des Mädchens ist von Gewalt und der Dominanz des Vaters geprägt. Dieser liebt neben Fernsehen und Whiskey vor allem die Jagd und hat ein ganzes Zimmer voller Trophäen, von einem Elefantenstoßzahn bis zu einer ausgestopften Hyäne ist alles dabei. Doch wenn er nicht jagen kann, lässt er seine Wut und seinen Frust an seiner Familie, besonders an seiner Frau aus, sodass das Mädchen versuchen muss, ihren kleinen Bruder vor der Gewalt zu Hause zu schützen. Häufig zieht es die beiden im Sommer vor allem auf einen Autoschrottplatz und zum Eiswagen, wo sie für wenigen Augenblicke die Hitze genießen können. Doch ausgerechnet dort ereignet sich eines Tages eine Tragödie, die Gilles sein Lachen raubt. Von da an versucht das Mädchen mit unerschütterlichem Ehrgeiz und Zuversicht ihren Bruder zu retten, während sie selbst immer mehr in den Blick des Vaters gerät. Ich habe schon die Leseprobe verschlungen und war ziemlich beeindruckt von dem Schreibstil, aber ich hätte trotzdem nicht damit gerechnet, dass mich das Buch so sehr begeistern würde. Der Schreibstil ist ungewöhnlich, sehr präzise und kühl für das Thema des Buches, aber dennoch mitreißend, dass man nur so durch die Seiten fliegt. Das Buch wird aus der Sicht des namenlosen Mädchens erzählt, sodass besonders die Gewalt durch den Vater und das traumatische Erlebnis, das sowohl sie, vor allem aber ihren Bruder Gilles nachhaltig beeinflusst, eindringlich geschildert werden. Gerade diese Schilderungen sind es vermutlich auch, die das Buch so außergewöhnlich machen. Das Mädchen lässt ihre eigenen Gefühle eher selten und zumeist nur im Bezug auf ihren Bruder zu und erkennen, schildert aber ihr Umfeld sehr genau und detailliert. Schon in jungen Jahren erkennt sie genau, welche Strategien ihre Mutter anwendet, um der Gewalt des Vaters zu begegnen und dass sie nicht so werden will. Neben dem Schreibstil ist auch interessant, dass die Autorin Namen als Stilmittel benutzt, weder die Mutter, die als Amöbe bezeichnet wird, noch der Vater oder die Nachbarn werden mit ihren Vornamen benannt, sondern erhalten Bezeichnungen, die ihren Charakter oder ihr Aussehen beschreiben, lediglich Kinder oder erwachsene Helferfiguren, wie der Physiklehrer des Mädchens erhalten einen Namen und somit eine differenzierteren Charakter, der nicht aus einer einzigen Zuschreibung besteht. Ich kann gar nicht so genau beschreiben, was mich an dem Buch so sehr gefesselt hat, dass ich es innerhalb weniger Stunde komplett durchgelesen habe, vermutlich ist es ein Zusammenspiel aus fast schon morbider Faszination für die Abläufe im Haus des Mädchens und ein Funken Hoffnung, dass es ihr irgendwann besser gehen wird. Man wünscht sich, dass sie ihren Intellekt, ihre Begabung für Physik und ihren unbedingten Willen dazu nutzen kann, aus der lieblosen Umgebung zu fliehen und ihren Bruder zu retten, während man sich gleichzeitig vor dem Ende fürchtet. Alles in allem habe ich schon lange kein Buch mehr gelesen, dass mich ab der ersten Minute derart gefesselt und in den Bann gezogen hat, dazu trägt auch der außergewöhnliche, eher sachliche Schreibstil bei, der es dennoch hervorragend schafft, einen auch emotional in seinen Bann zu ziehen. Zudem werden die Protagonisten auch ohne Namen zu unvergesslichen Figuren, für die man sich mehr wünscht als das Leben, das sie im Moment führen.