Profilbild von sommerlese

sommerlese

Posted on 27.3.2020

Frisch von der Uni kommt Joanna Rakoff nach New York, um die literarische Szene zu erobern. Sie findet eine Stelle als Assistentin bei einer Agentur für Autoren und bearbeitet an ihrer Schreibmaschinen kistenweise Fanpost an J.D.Salinger. Eigentlich wollte sie ja eher Gedichte schreiben, aber sie muss sich ihren Lebensunterhalt im teuren NY verdienen. Natürlich ist dieser Roman eine Hommage an J.D. Salinger, aber er zeigt auch innerhalb eines Jahres die Entwickling der jungen Joanna Rakoff, sozusagen ihr persönliches Coming of age. Als Leser nimmt man Anteil an ihrem Leben, ihrer Arbeit und ihrer Beziehung. Dabei wächst mir Joanna nach anfänglichem Zögern langsam ans Herz. Ihre jugendliche Naivität und ihr blinder Arbeitseifer entwickeln sich weiter und sie gewinnt an Selbstbewusstsein und steckt sich eigene Ziele, die sie bewusst verfolgt. Dabei geniesst man ihre Liebe zur Literatur und wie sie sich an J.D. Salingers Werken orientiert. Salingers Bücher drücken Gesellschaftskritik aus und sie stehen ebenfalls als Zeugnisse für Coming of Ages (Der Fänger im Roggen) und so schliesst sich der Kreis sehr authentisch. Salinger wollte die Menschen mit seinen Werken erreichen und ihnen etwas mitteilen. Das ist ihm bei Joanna Rakoff in besonderem Mass gelungen. Besonders gefallen hat mir auch die Beschreibung der Literatur-Agentur, die selbst im Jahr 1996 noch ohne Digitalisierung den Buchmarkt erobern musste. Welchen beschwerlichen Weg ein Manuskript hinter sich bringen muss, um dann endlich als fertiges Buch im Regal des Handels zu erscheinen, wird hier nebenbei erkenntlich. Der Schreibstil von Joanna Rakoff liest sich angenehm flüssig und ist sehr anschaulich. Nur zu deutlich sieht man durch Joannas Person den Wandel von Schreibmaschine und Diktiergerät zum digitalen Zeitalter mit moderner Computervernetzung und weltweiter Webanbindung. Aber in der Zeit vollzieht sich auch Joannas Reifeprozess. Vom eintönigen Tippen kommt sie zu anspruchsvollen Vertragsabschlüssen mit Autoren. Die private Entwicklung lässt sie eine unliebsame Beziehung auflösen und ihre wahre Liebe erkennen. Dieser Wandel macht sie sympathisch. Langsam, aber sicher habe ich mich an Joanna gewöhnt und muss sie am Ende des Buches wieder ziehen lassen. Joanna beschreibt neben ihrer Liebe zu den Büchern ebenfalls die New Yorker Literatur-Szene mit ihren Parties und die angesagten Magazine der Presse der 90er Jahre. Man sieht sie inmitten einer Menge von Tausenden von New Yorkern, die per Subway und durch die Strassen zur Arbeit eilen und in der Mittagspause auf den Treppenstufen einer Mall ein Sandwich essen. Dieses New Yorker Flair in der Geschichte hat mir gefallen und mich in seinen Bann gezogen. Auch die Einbindung der Person Salingers, eines bewusst zurückgezogen lebenden Schriftstellers, und seiner literarischen Werke in diesen autobiografischen Roman Joanna Rakoffs ist gut gelungen. Einzig das Ende ist etwas abrupt und hätte etwas detailgenauer sein können. Dieses Buch lässt den Leser dabei zusehen, wie eine junge Frau erwachsen wird und wie ihr dabei die Werke Salingers ans Herz wachsen. Es macht Lust auf die zeitlosen Bücher des verstorbenen Literaten und lässt sich wunderbar lesen.

zurück nach oben