stefanie aus frei
Unbequem. Erhellend. Mir "fehlen" Erfahrungen des Rassismus O: Why I’m No Longer Talking To White People About Race Ich bin eine weiße Frau. Ich habe noch nie Diskriminierung aufgrund meiner Hautfarbe erfahren, auch nicht von Personen mit einer anderen Hautfarbe. Vor der Lektüre dieses Buches habe ich darüber nie nachgedacht, es war für mich „normal“. Mit anderen Worten: ich hatte mein Weiß-Sein zur Norm erklärt. Reni Eddo-Lodge erläutert diese Haltung als Bestandteil von „White Privilege, als definiert durch die Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus. Ich hatte vorher zwar natürlich die Einstellung, dass Rassismus schlimm und verachtenswert sei – aber irgendwie nicht mein Problem, außer, wenn ich direkt Zeuge offensichtlicher Handlungen oder Aussagen bin. Dieses Buch hat mich sehr zum Nachdenken herausgefordert. In sieben Kapiteln, dazu Vor- und Nachwort, erklärt die Autorin die wichtigsten Grundlagen, beginnend mit einem Kapitel über Geschichte. Es ist die britische Geschichte, hier hätte ich mir Ergänzungen zu Deutschland gewünscht – hier gab es keinen Commonwealth, keine derart weitreichende Beteiligung an der Sklaverei (ich suche seither manisch nach einer TV-Dokumentation darüber, wie sehr Großbritannien an der Sklaverei verdiente, die ich vor 1-2 Jahren sah; Tipps willkommen). Die Mechanismen sind dennoch übertragbar, zum Beispiel die genannten Untersuchungen über Bewerbungen, bei denen bei gleicher Qualifikation ein britisch, „weiß klingender“, Name den Job verspricht, jedoch ein „schwarzer Name“ eine Absage; ähnliche Studien gab es hier in Bezug auf türkische Namen. Da reden dann allerdings wir nicht über die Hautfarbe. Einleuchtend, erhellend, entlarvend fand ich die Kapitel über „White Privilege“, über den strukturellen Rassismus, der dafür sorgt, dass von Beginn an für Weiße leichter ist, Erfolg zu haben, gute Jobs zu bekommen, auf die richtigen Schulen und Universitäten zu gelangen. Wieder, wie bei meiner Einschränkung für Deutschland zu türkischen Namen, fallen mir hier entsprechende Studien ein, in denen auch die Kinder von Arbeitern signifikant benachteiligt wurden. Ungefähr zwischen dieser Stelle (das Thema mit der Hautfarbe und der sozialen Klasse wird später von der Autorin selbst noch aufgegriffen) und dem Feminismusthema konnte ich der Autorin nicht mehr bei allen Argumentationen folgen. Die Autorin definiert sich sowohl über ihre Haltung und ihren Kampf gegen Rassismus als auch als Feministin. Wenn nun Männer Vorteile haben gegenüber Frauen und Weiße gegenüber allen anderen, ergibt sich, dass schwarze Frauen in der schlechtesten Position sind. Werden dann noch weitere Faktoren hinzugefügt wie alleinerziehend, schlecht ausgebildet usw., verstärkt sich das Bild und, ja, einige der Faktoren bedingen einander (im Sinne von „wer alleinerziehend ist und Schwarz, bekomt eher eine schleche Ausbildung, wer eine schlechte Ausbildung hat, wird eher mehr diskriminiert usw). Ich habe zu Beginn bekannt, nie aufgrund meiner Hautfarbe Diskriminierung erfahren zu haben – bei Sexismus sieht es leider ganz anders aus, von blöden Sprüchen, Anzüglichkeiten, bis zu einer Welle von Entlassungen, die ausschließlich Frauen im „gebärfähigen“ Alter bei einem früheren Arbeitgeber betraf. Letztens habe ich hierzu den Kommentar gelesen, daran werde sich erst wirklich etwas ändern, wenn Männer dafür zu kämpfen beginnen. Ja, hier finden die Aussagen von Eddo-Lodge Eingang in meine Wirklichkeit; es funktioniert nicht, von denen, die von welcher Art der Benachteiligung auch immer betroffenen sind, zu verlangen, daran allein und durch ihre Leistung etwas zu ändern. An dieser Stelle treffen die Ausführungen auf Analogien im Leben von Frauen, aber auch bespielsweise von Migranten, Behinderten, Alten,… - die Autorin hat es hier geschafft, mich zumindest kurz und teilweise in die Haut anderer zu versetzen, verbaut dann aber gleichzeitig diese Tür, indem sie einen Dreiklang erzeugt aus Frau-farbig-Arbeiterklasse, der die vorrangige Aufmerksamkeit verdiene. Das sie natürlich aus ihrer Sicht schreibt, ist gut und richtig und wichtig, auch ihr Zorn darüber, sich nicht dauernd erklären zu müssen, ist nachvollziehbar, für mich jedoch nicht diese Feminismusdebatte im Thema. Ja, ich kann nur die Benachteiligungen als Frau persönlich nachvollziehen, nicht die wegen der Hautfarbe – anscheinend darf ich aber mein eigenes Thema nicht erwähnen und muss angesichts der größeren Benachteiligung gar verstummen. Hm. Schwierig finde auch ich eine Verknüpfung mit Migration, für mich hat eine Begrenzung oder Öffnung der Zuwanderung an sich nichts mit Rassismus zu tun, es wandern ja auch bei weitem nicht nur Menschen einer bestimmten Hautfarbe ein, erst der Umgang mit Menschen an sich, Migrant oder nicht, legt unabhängig von anderen Themen fest, ob das Rassismus ist. Ich bin weiß, Deutsche mit deutschen Eltern und Großeltern und Urgroßeltern und lebe als Zugezogene seit über zehn Jahren in einem kleinen deutschen Ort; man kann es mir anhören, dass ich hier nicht geboren wurde. Seit über zehn Jahren höre ich Fragen, woher ich den „eigentlich“ komme, warum ich hier „gelandet“ bin, womit ich so meinen Lebensunterhalt verdiene. Wenn diese Fragen auch Personen mit einer anderen Hautfarbe gestellt werden, mag ich allein hierin noch keinen Rassismus sehen, vielmehr das Bedürfnis der Menschen nach Zugehörigkeit und Zuordnung. Wer nachfragt, spricht mit den Menschen. Soll heißen: nicht alles ist Rassismus. Ungeachtet dessen hat mich das Buch überzeugt damit, mir die Augen geöffnet zu haben für Dinge, die mir selbstverständlich erschienen aus weißer Perspektive. So wie ich als Kind sein wollte wie „George“ bei den Fünf Freunden, weil Mädchenfiguren in Büchern zu brav und langweilig waren, nie bestimmen durften, so wollte Reni Eddo-Lodge als Vierjährige weiß sein, so konnten sich viel zu viele die Hermine bei Harry Potter nur als weißes Mädchen vorstellen. Diese Angst wird die Angst vor dem „schwarzen Planeten“ genannt, die Angst der Weißen, selbst in der Minderheit zu sein. Warum denn, wenn doch alles in Ordnung ist? „Es heißt, die Homophobie des heterosexuellen Mannes wurzelt in der Angst, dass schwule Männer ihn so behandeln könnten, wie er Frauen behandelt. Es ist der gleiche Mechanismus.“ Da bleibt noch viel Arbeit.