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sommerlese

Posted on 24.3.2020

Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Obwohl die Gegend total verstrahlt ist und als Todeszone gilt, kehrt die alte Frau nach dem katastrophalen Reaktorunglück in ihre Heimat zurück. Dort führt sie ein einfaches ruhiges und zurückgezogenes Leben mit einigen Gleichgesinnten. Zu ihrer Tochter hält sie den Kontakt mit Briefen aufrecht. Als eines Tages ein Fremder mit einem Kind im Dorf auftaucht, sorgt er für große Aufregung. Dieser Roman fesselt schon von Beginn an mit einer erstaunlichen Geschichte über eine ganz spezielle Heimat. Es wird lustig, nachdenklich und auch schwermütig über die Dorfgemeinschaft berichtet und man lässt sich von der Erzählung der außergewöhnlichen Dunja Baba beeindrucken. Auch wenn es nur ein schmales Büchlein ist, so enthält es doch eine Menge von Lebensumständen, die mich sehr berühren. Man liest erstaunt, wie so ein Niemandsland für manche Menschen eben nicht die Todeszone schlechthin bedeutet, sondern ein Paradies der Stille und Abgeschiedenheit, wo die Zeit noch still steht. Es ist die besondere Persönlichkeit von Baba Dunja, die ihre Mitbewohner beeindruckt und sie zur heimlichen Bürgermeisterin des Ortes erhebt. Sie wird um Rat gefragt und das, obwohl sie Geister von Verstorbenen sieht. Vor der Verstrahlung hat sie keine Angst, immerhin ist sie über 80 Jahre alt geworden und da kann ihr der Tod nicht mehr viel anhaben. Die anderen Charaktere werden bildhaft und mit ihren Gebrechen oder speziellen Eigenheiten gut beschrieben. Die Personen bilden eine bunte Mischung von alten Menschen, die sich hier als Selbstversorger in ihrem Dorf Tschernovo immer noch wohl fühlen. Die Abgeschiedenheit und die tägliche Arbeit macht ihr Leben so auf die Grundlagen reduziert, es kommt einer Entschleunigung nahe. Im Sommer wird in den Gärten gearbeitet, damit die Nahrungsmittel für den harten Winter bevorratet werden können. Der nächste Ort mit Geschäften und Arzneimitteln ist weit weg und nur mit Mühe zu erreichen. Doch so idyllisch das Ganze wirkt, die Isolation von Verwandtschaft und Aussenwelt bringt auch traurige Gefühle mit sich. Denn in diese verstrahlte Gegend setzt niemand freiwillig einen Fuß. Es kommt in der Geschichte zu einem Bruch als ein Fremder auftaucht. Hier beginnt die eigentlich spannende Handlung des Buches. Sprachlich gefällt mir der Stil Alina Bronskys sehr gut, sie unterhält realistisch, lebhaft und mit einem gewissen unterschwelligen Humor. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist der Pragmatismus und die bedingungslose Liebe zu ihrer Heimat, die Dunja Baba an den Tag legt. Die selbstbestimmte Wahl dieser Heimat trotz radioaktiver Gefahr so durchzusetzen, ist wagemutig und erstaunt mich zutiefst. Eine interessante und außergewöhnliche Geschichte über das Leben einer Dorfgemeinschaft in einer Gegend um Tschernobyl. Was braucht der Mensch, um ein erfülltes Leben zu leben?

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