anne_hahn
Mein kleiner Buchladen – frische Bücher: Drei Frauen Aidan wird später zu viel trinken, Kinder haben und einen Job, der nicht genug einbringt, um für die Geburtstagspartys im Sommer das Propan für den Gasgrill zu kaufen. Er wird einen dicken Bauch haben und den Kopf voll mit Dingen, die er bereut. Er wird weder Marinesoldat noch Astronaut oder Profispieler sein. Er wird nicht in einer Band singen oder im Pazifik schwimmen. Abgesehen von seinen Kindern und seiner Frau und dem, was er für sie getan haben wird (was einerseits zählt, andererseits aber auch nicht, weil ein Mann etwas außerhalb seiner vier Wände geschaffen haben muss), wird er nichts getan haben, woran sich irgendwer mal erinnert. Bis auf das, was er einer bestimmten Frau bedeutet hat. Nämlich alles. Auf Seite 50 der 410 Seiten umfassenden Geschichten von drei Frauen gibt es bereits diesen Vorgriff auf die Zukunft. An Lisa Taddeos frisch auf Deutsch erschienenem Buch – wie hier bereits von Tino Hanekamp angedeutet – scheiden sich die Geister. Mir ging es ähnlich wie meinem piqd-Kollegen, ich war von den einführenden Seiten der 1979 geborenen Autorin begeistert. Ihre Sprache ist direkt und, zumindest am Anfang, knapp, manchmal poetisch. Die Lebensläufe von Lina, Maggie und Sloane werden verschränkt erzählt, ohne auf einen Höhepunkt oder eine Lösung hinzusteuern. Und da beginnt für mich auch schon das Problem, was ist das für ein Text? In den USA wurde das Buch erfolgreich als Sachbuch vermarktet, in Deutschland startet es als belletristisches Werk. Im Nachwort gibt Lisa Taddeo Hinweise auf ihre Arbeit: Über acht Jahre hinweg habe ich Tausende Stunden mit den Frauen dieses Buches verbracht - in Form von persönlichen Begegnungen, Telefonaten, SMS und E-Mails. Ich bin in die Städte gezogen, und habe mich eine Zeitlang dort niedergelassen, um mir ein besseres Bild von ihrem täglichen Leben zu machen. In manchen Fällen war ich dabei, als sich die Ereignisse abspielten, die ich in dieses Buch aufgenommen habe. Was dabei herauskam, wirkt furchtbar provinziell. Prüde und angestaubt. Verena Lueken sagt im aktuellen Bücher-Podcast der F.A.Z., vielleicht finde man solche Geschichten wirklich nur noch in Indiana oder North-Dakota – im Hinblick auf Taddeos erste Protagonistin Lina erinnere sie das Buch gar an Geschichten aus irgendeiner fernen Vorzeit – es gehe um Frauen, die sich nicht getraut haben, zu sagen, dass sie Lust auf Sex haben. Genauso erging es mir. Anfangs empfand ich Mitleid mit Lina, der ungeliebten/ungeküssten Ehefrau. Aber im Laufe des Buches mündet ihr ganzer Ausbruch in heimlichen Treffen mit Aidan, dem angehimmelten Idol des obigen Zitats. In Demütigungen, schnellem Sex und Küssen. All diese Recherche-Mühe, um Linas Kapitel derart zu Ende zu führen? Der nächste Kuss ist der unglaublichste Kuss ihres ganzen Lebens. Er zieht sie an sich und küsst und küsst und küsst sie. Dabei verlässt seine Zunge ihren Mund nicht eine Sekunde. [...] Etwas anderes hat sie nie gewollt. Lina ist überzeugt, dass der Wunsch, von dem Menschen begehrt zu werden, den man gerade für den attraktivsten hält, ein elementarer Trieb des Menschen ist. Nur dass viele Menschen diesen Trieb meist unterdrücken. "Wenn das die umfassende Erkenntnis über weibliches Begehren heute sein soll, ist einiges schiefgelaufen," lautet der letzte Satz der Buch-Kritik Andrea Gerks im Deutschlandfunk Kultur, dem kann ich mich nur anschließen. Wie stelle ich mir einen Bestseller zur weiblichen Lust vor? Divers, radikal, selbstbestimmt und dabei sinnlich. Auf Lina hätte ich komplett verzichtet, spannender wäre eine Langzeitreportage zu Maggies authentischem Fall gewesen – einer Schülerin, die verbal von ihrem Lehrer verführt wird, in Abhängigkeit gebracht – und fallen gelassen. Mich würden Fakten interessieren, hat dieser Lehrer auch mit anderen Schülerinnen eine ähnliche Beziehung aufgebaut (dies wird angedeutet), wie oft kommen solche Fälle in den USA vor Gericht, mit welchen Urteilsschlüssen? Hier wird der Fokus auf das Leid des Mädchens gerichtet und unendlich scharf gezoomt, bis zur Unerträglichkeit. Zu mager sind mir die Lebensaussichten einer jungen Frau gezeichnet, auch diesmal ist ein Mann das ausschließliche Objekt der Begierde: Sie kann nach Mexiko fliegen, am Strand schlafen und jeden dahergelaufenen Typen vögeln. Sie kann im Lotto gewinnen, schwanger werden. Die Ironie ist, dass sie nichts von all dem will. Sie will in den einzigen zweiundzwanzigtausend Kubikzentimetern Knochenstäben eingesperrt sein, die ihr verboten sind. Und Sloane, die dritte Protagonistin, hätte genug Stoff für einen dicken Roman geboten.