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Ailyn

Posted on 16.3.2020

Ach Lenù, was haben wir zusammen gelitten und gehofft, drei dicke Bände lang! Und nun wirfst du alles, worauf du jahrelang hingearbeitet hast, über Bord und ziehst zurück in den Trümmerhaufen aus geplatzten Träumen, dem du so mühsam entkommen bist. In manchen Büchern möchte ich den Protagonisten zurufen: “bitte tu es nicht!” Aber gut, Liebe macht eben blind und so geht Elena eben zurück nach Neapel. Und als hätte ich sie nicht gewarnt, passiert was passieren muss und ihre Welt bricht in sich zusammen. Nun ist sie erneut unten angelangt, wo sie eigentlich nie wieder hinwollte und das auch noch samt ihrer Kinder. Trotzdem sie sich als gebildete Frau und Schriftstellerin eine gewisse Reputation erarbeitet hat, erlebt sie als alleinerziehende und berufstätige Mutter den sozialen Abstieg. Zum Glück gibt es ja die abgebrühte Lila, der ungeachtet ihrer geringen Bildung, so schnell niemand etwas vormacht, weder die Camorristi um sie herum noch die Machos ihrer Zeit. Mit viel List gründet sie zusammen mit Enzo, der inzwischen ihr Lebensgefährte ist, eine eigene Computerfirma, die rasch viel Geld einbringt. Lila entpuppt sich im Laufe des letzten Bandes zunächst als eine Art Wonder Woman, die am Ende jedoch feststellen muss, dass sie nicht alles kontrollieren kann, am wenigsten ihr eigenes Schicksal. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensentwürfe, finden die beiden Freundinnen im letzten Teil wieder zueinander, nicht zuletzt als beide zur gleichen Zeit schwanger werden. Der Umgang miteinander ist im Buch streckenweise alles andere als freundschaftlich, zumindest für mein Verständnis von Freundschaft. Besonders Lila wirkt oft missgünstig, hilft ihrer Freundin Elena jedoch ohne mit der Wimper zu zucken, als diese mitsamt ihrer Töchter vor dem Nichts steht. Irgendwann im vierten Buch hatte ich das Gefühl, Ferrante möchte nun unbedingt zu einem raschen Ende kommen, indem sie auf einmal etliche Charaktere über die Klinge springen lässt, entweder durch Tod oder Verfall. Auch mit Lila und Elena ist das Leben im Alter nicht gnädig, während eine eine verbittert und zänkisch ist, wird die andere irgendwie von allen allein gelassen und in Bezug auf ihr Lebenswerk von der Familie missverstanden. Das Ende des Buches ist genauso unspektakulär, wie die gesamte Geschichte – aber wie ich finde – auch sehr passend. Was mir an der Geschichte so gut gefällt, ist dass sie sehr realistisch ist. Ich glaube als Leser ist man inzwischen so viel Spektakuläres, Grausames, Übernatürliches oder sexuell Aufgeladenes gewohnt, dass Einen diese Geschichte schnell langweilt, der nüchterne Erzählstil tut sein Übriges – mir ging es anfangs ja auch so. Nachdem ich nun alle vier Teile gelesen habe, würde ich die Geschichte anderen Lesern trotzdem unbedingt empfehlen. Ein Grund ist für mich ganz klar der Einblick in das Italien der Nachkriegszeit. Besonders die Rolle der Frauen und ihre Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte zeigt Ferrante in ihren Büchern eindrucksvoll. Im bitterarmen Rione sind Frauen für Hauhalt und Kinder zuständig und altern lange vor ihrer Zeit, zermürbt von prügelnden Ehemännern und Sorgen um Geld und Familie. In den intellektuellen Kreisen von Professoressa Galiani und Adele Airota, geht es hingegen liberaler zu. Ein weiterer Grund ist Ferrantes nüchterner Erzählstil, von dem ich inzwischen ein echter Fan bin und den ich sehr passend für diese Erzählung finde.

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