Profilbild von nobody knows

nobody knows

Posted on 15.3.2020

Amy und die geheime Bibliothek ist eine wahrlich wundervolle Lektüre, insbesondere für bekennende Bücherwürmer, die man im Endeffekt aber viel zu schnell gelesen hat. Zu Beginn ist die Protagonistin Amy noch sehr introvertiert und spricht aus verschiedenen Gründen so gut wie nie das aus, was sie wirklich denkt. Wenn man als Leser eher extrovertiert ist, hat man damit zunächst ein paar Schwierigkeiten, weil man schlicht nicht nachvollziehen kann, warum sie sogar ihren Eltern gegenüber nicht offen und ehrlich sagt, wenn sie etwa stört. Im Verlauf der Handlung ändert sich das jedoch allmählich als Amy beginnt anderen ihre Ansicht mitzuteilen und dabei überrascht feststellt, dass Kommunikation manchmal der Schlüssel zum Erfolg ist und durchaus eine Veränderung herbeiführen kann. Abgesehen davon ist Amy natürlich schon allein aufgrund ihrer Liebe zu Büchern überaus sympathisch. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten in der Schulbibliothek und das Lesen ermöglicht es ihr ihrem chaotischen Leben für kurze Zeit zu entfliehen. Amy hat nämlich zwei jüngere Schwestern, die nahezu immer ihren Willen bekommen, während Amy als vorbildliche große Schwester häufig zurückstecken muss. Die fünfköpfige Familie lebt in einem recht kleinen Haus und Amy muss sich ein Zimmer mit ihrer Schwester Alexis teilen, weshalb sie sich verzweifelt nach einem Rückzugsort sehnt. Erst als unter anderem ihr Lieblingsbuch aus der Schulbibliothek verbannt wird, da die Mutter eines Mitschülers es für ungeeignet hält, kommt Amy aus sich heraus und fängt an sich für etwas einzusetzen. Sie kann dieses Vorgehen nicht verstehen und lehnt sich deshalb dagegen auf. Sie findet, dass jedes Kind ihr Lieblingsbuch lesen können sollte bzw. allein die Eltern darüber entscheiden dürfen, welche Bücher ihre Kinder lesen, wohingegen eine generelle Verbannung aus der Bibliothek alle Kinder trifft. Infolgedessen muss sie es dann allerdings ohne zu widersprechen hinnehmen, dass ihre Eltern ihr noch nicht erlauben Die Tribute von Panem zu lesen. Nachdem ihr Vater ihr ein eigenes Exemplar von Gilly Hopkins kauft, verleiht sie dieses aus Protest an andere Mitschüler. Außerdem will sie nach und nach alle anderen verbannten Bücher lesen, zum einen aus Neugier und zum anderen, weil sie die Schädlichkeit dieser Bücher anzweifelt. Ein paar Mitschüler stellen Amy zu diesem Zweck eigene Exemplare verbannter Bücher zur Verfügung, die sie nach dem Lesen wiederum weiterverleiht. Das ist der Beginn der G.S.B., der geheimen Schließfachbibliothek, denn ironischerweise führt die Verbannung einiger Bücher schließlich dazu, dass mehr und mehr Kinder genau diese Bücher lesen wollen und sie sogar die Schüler zum Lesen bringt, die normalerweise selten freiwillig zu einem Buch greifen – eigentlich ein sehr erfreulicher Nebeneffekt. Das Buch ist daher auch ein Plädoyer für Bibliotheken im Allgemeinen. Sie ermöglichen es allen Menschen Bücher zu lesen; jene, die es sich aus verschiedenen Gründen nicht leisten können sich die gewünschten Bücher einfach selbst zu kaufen eingeschlossen. Verbannt man ein Buch aus einer Bibliothek, ist es jedoch zahlreichen Menschen nicht mehr zugänglich, darunter solche, die längst alt genug sind, um selbst darüber zu entscheiden, welche Bücher sie lesen. Wie man durch das Nachwort erfährt, hat die Geschichte also einen ersten Hintergrund. In den USA werden nämlich tatsächlich regelmäßig Bücher aus Bibliotheken verbannt – aus den absurdesten Gründen. Insofern ist es durchaus interessant zu lesen, welche Bücher aus welchen Gründen verbannt werden. Dadurch wird deutlich, dass man im Prinzip für jedes Buch einen solchen Grund finden kann, wenn man es auf die Spitze treibt, sogar für ein Wörterbuch. Statt abzuschrecken hat die Liste der verbannten Bücher auf den Leser somit den gegenteiligen Effekt, genau wie bei Amy. Einige Bücher auf der Liste hat man sicher schon gelesen, andere kennt man womöglich nur dem Titel nach und von manchen hat man noch nie gehört. Daran wird man nach dem Lesen aber zumindest teilweise etwas ändern wollen, da viele der Bücher sich ziemlich gut anhören. Die Liebe zum geschriebenen Wort ist nahezu auf jeder Seite spürbar und es gelingt Alan Gratz auf wundervolle Weise zu zeigen, welche Macht Bücher haben können. So hilft Amy zum Beispiel einem Mitschüler seine Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen zu bewältigen, indem sie ihm ein (verbanntes) Buch empfiehlt. Darüber hinaus können Bücher nicht nur neues Wissen vermitteln, sondern einen dazu ermutigen die eigenen Träume zu verwirklichen. Dementsprechend fiebert man mit Amy und ihren Freunden mit und verfolgt gebannt ihre Pläne die Bücher erst im Rahmen der G.S.B. in Amys Schließfach zu befördern und dann in die richtige Bibliothek zurückzuholen. Zudem bewundert man die Kreativität, die die Schüler an den Tag legen, um die G.S.B. geheim zu halten, unter anderem indem sie sich für jedes Buch einen falschen Titel ausdenken und spezielle Einbände entwerfen. Am Ende sorgt Amy allerdings nicht nur dafür, dass die Verantwortlichen einsehen, wie falsch es ist Bücher wegen der Beschwerde einzelner Personen aus der Bibliothek zu verbannen, sie lernt auch selbst etwas dazu, beispielsweise dass man andere Mitschüler nicht aufgrund der Handlungen ihrer Eltern verurteilen darf. Außerdem gelangt sie zu der für ihr Alter schon recht reifen Erkenntnis, dass nicht alles immer nur schwarz oder weiß ist. Möglicherweise hatte sogar die Person, die für die Verbannung ursächlich war, im Grunde gute Absichten, nur eben den falschen Ansatz. Abschließend sind noch zwei Aspekte in puncto Diversität überaus lobend zu erwähnen: Zum einen sind die Protagonistin Amy und natürlich ebenso der Rest ihre Familie schwarz. Das fällt einem als Leser sofort auf, obwohl dieser Umstand allenfalls am Rande thematisiert wird, was wiederum dafür spricht, dass es immer noch viel zu selten vorkommt, vor allem bei Büchern, in denen es nicht explizit um Rassismus geht. Zum anderen ist es in der heutigen Zeit sehr schön zu sehen, dass der Autor keine klischeehafte Rollenverteilung innerhalb der Familie vornimmt. In der ersten Szene, in der Amys Vater auftaucht, steht dieser am Herd und kocht – ohne deshalb gleich Hausmann zu sein oder „unmännlich“ zu wirken. Ganz im Gegenteil, laut Amys Schilderungen scheint der muskulöse Bauhandwerker beim anderen Geschlecht ziemlich gut anzukommen. Die Mutter ist ebenfalls berufstätig und beide Eltern teilen die täglichen Aufgaben – wer welches Kind zum Ballett fährt, zur Schule bringt, usw. – gleichmäßig unter sich auf. *FAZIT* Mit Amy und die geheime Bibliothek hat Alan Gratz ein ganz wunderbares Buch mit einer liebenswerten Protagonistin geschrieben, die im Verlauf der Geschichte lernt, dass es sich lohnt sich für etwas einzusetzen, das einem am Herzen liegt. Außerdem zeigt der Autor auf sehr anschauliche Weise, wie wichtig Bibliotheken noch immer sind und dass man die Verbannung von Büchern nicht einfach hinnehmen sollte.

zurück nach oben