nobody knows
Der Bücherdrache ist völlig anders als erwartet, aber trotzdem richtig gut und von der ersten Seite an so fesselnd wie faszinierend, nur leider viel zu schnell gelesen. Das Buch beginnt und endet mit ein paar Comic Seiten, in die dann die eigentliche Geschichte eingebettet ist. Der Ich-Erzähler ist zwar im Grunde Hildegunst von Mythenmetz, die Ereignisse um Nathaviel werden allerdings nicht von ihm selbst geschildert. Im Vordergrund steht vielmehr das Abenteuer des nach ihm benannten Buchlings Hildegunst Zwei, der dem bekannten Lindwurm von seiner aufregenden Begegnung mit dem legendenumwobenen Bücherdrachen berichtet. Es handelt sich sozusagen um eine Geschichte in einer Geschichte. Infolgedessen besteht das Buch größtenteils aus Dialogen bzw. aus dem Monolog des kleinen Buchlings, dessen Erzählung nur gelegentlich kurz durch Nachfragen oder Bemerkungen von Hildegunst unterbrochen wird. Dabei gibt er wiederum innerhalb seines Abenteuers nahezu wortgetreu die gesamte, interessante Lebensgeschichte des Bücherdrachen wieder, wie Nathaviel sie ihm berichtet hat. Der Autor hat also mehrere Geschichten geschickt ineinander verschachtelt, lässt am Ende jedoch offen, ob es sich nun um ein echtes (fiktives) Erlebnis oder lediglich um einen Traum des Lindwurms handelt. Spannend ist diese außergewöhnliche Geschichte in jedem Fall. Der im Ormsumpf lebende Bücherdrache ist eine ausgesprochen faszinierende Kreatur, die man trotz seiner tödlichen Tendenzen irgendwie ins Herz schließt und der man in späteren Werken gern noch einmal begegnen möchte. Nathaviel ist weise, klug und ein wenig melancholisch. Er hat in seinem Leben viel durchgemacht und man versteht durchaus seine Beweggründe. Einerseits will er sich bloß selbst schützen, andererseits ist er dadurch unendlich einsam, zumal er sich scheinbar sehr gern mit anderen Wesen unterhält. Es grenzt an ein Wunder, dass er noch nicht völlig verrückt geworden ist. Der Drache ist Orakel und Schatz zugleich, denn neben seinem Geist sind auch seine Schuppen ormdurchtränkt und daher wahnsinnig wertvoll. Sie sind der Grund, warum er lange Zeit gejagt wurde. Um zu Überleben fing er irgendwann an die Besucher zu fressen oder zumindest zu vertreiben, die es nicht mehr nur auf einen Ratschlag, sondern eine seiner Schuppen abgesehen hatten. Dieses Vorgehen war umso wichtiger, da es Nathaviel inzwischen nicht mehr möglich ist die Katakomben zu verlassen. Der arme Drache ist im Ormsumpf gefangen. Der junge, etwas zu leichtgläubige Buchling Hildegunst Zwei ist einem ebenfalls sehr sympathisch. Er glaubt nichts Interessantes erzählen zu können, dabei ist sein Leben im Ergebnis nicht annähernd so ereignislos oder vorhersehbar wie er denkt. Stattdessen kann er von einem Abenteuer berichten, wie es sicher nicht viele Buchlinge erlebt haben. Es macht Spaß dank ihm eine neue Seite an Zamonien sowie neue Geschöpfe, die in dieser Welt leben, kennenzulernen und eine Geschichte zu lesen, in der einige Buchlinge sowie ein Drache die Hauptakteure sind. Hinzu kommt eine vielversprechende Prophezeiung Nathaviels, die vielleicht – oder eher hoffentlich – noch einmal in anderen Büchern zur Sprache kommt. Das Ende deutet zumindest ein wenig darauf hin. Darüber hinaus begeistert das Buch vor allem durch die tolle, malerische Sprache von Walter Moers, die langen Sätze und wunderbaren Beschreibungen, deren Klang man sich auf der Zunge zergehen lassen möchte. Die Liebe des Autors zu Büchern und zur Sprache wird folglich nicht nur durch die zamonische Welt, sondern auch durch seine Art zu erzählen deutlich. Möglicherweise hat der Autor sogar ein paar autobiographische Gedanken einfließen lassen, nämlich als es um die Leiden und Ängste von Schriftstellern geht, die Nathaviel sehr anschaulich beschreibt. Man ist sich nicht ganz sicher, ob es scherzhaft oder als Kritik gemeint ist, dass man sich als Autor gelegentlich zu viele Gedanken über Dinge wie (negative) Rezensionen oder Schreibblockaden macht. Ebenso fantastisch wie der Schreibstil ist die einzigartige Gestaltung des Buches mit den zahlreichen, vielseitigen Illustrationen des Autors. Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die sehenswerten Zeichnungen des Bücherdrachen in seiner ganzen Pracht, die sich über mehrere Doppelseiten erstrecken. Es handelt sich bei Der Bücherdrache zwar um eine völlig eigenständige und insgesamt überaus empfehlenswerte Geschichte, sodass man die anderen Zamonien-Romane zuvor nicht alle gelesen haben muss, es schadet allerdings nicht, wenn man zumindest schon ein wenig mit der Welt vertraut ist und zum Beispiel weiß, was Buchlinge überhaupt sind. Zum Abschluss folgt im Übrigen eine Leseprobe aus Die Insel der 1000 Leuchttürme, die auf jeden Fall neugierig auf das gesamte Buch macht – und vielleicht ein erster Hinweis darauf ist, dass dieses Buch als nächstes erscheint, obgleich ein konkreter Erscheinungstermin bislang noch nicht bekannt ist. Hierin dreht sich wieder alles um ein Abenteuer des Lindwurms Hildegunst, der den ersten Abschnitt einer beschwerlichen Reise in einem Brief an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer schildert. *FAZIT* Der Bücherdrache ist eine wundervolle, sprachgewaltige Geschichte mit liebenswerten und faszinierenden Figuren, die viel zu schnell vorbei ist und augenblicklich Lust auf weitere Abenteuer aus Zamonien macht.