SternchenBlau
Woman versus Nature plus versus Pirates „Kinder glauben, wir würden sie erschaffen, aber das stimmt nicht. Sie existieren bereits vorher, an irgendeinem anderen Ort, außerhalb von Raum und Zeit. Und wenn sie zur Welt kommen, erschaffen sie uns. Sie erschaffen uns, indem sie uns zuerst einmal zerbrechen.“ „Die Welt nach der Flut“ hat mich bewegt: Richtig mitgenommen hat mich die Suche der Hauptfigur Myra nach ihrer verlorenen Tochter Row sucht, die deren Vater vor sieben Jahren entführt hat, mitten in der Naturapokalypse. Und dazu, wie sie gegen die mächtige Natur kämpft. Diese beiden Aspekte machten die Ich-Erzählerin für mich sehr nahbar. Über allem stand die Frage: Wie viel würdest du selbst für dein Kind tun? Und wo wäre die Grenze, wenn du dafür dein anderes Kind gefährdest? Dystopie und ein verlorenes Kind, das hat mich stark an „Der Report der Magd“ erinnert. „Die Welt nach der Flut“ fehlt aber Atwoods stringente, durchchoreografierte Welt einer Dystopie. Kassandra Montag ist stark bei der Schilderung der Suche nach dem Kind und dem Kampf mit der Natur. Durch beides entwickelte ich das Gefühl einen Psychothriller zu lesen. Aber es fehlte für mich der Aha-Moment, was das mir nun die Gesellschaft „nach der Flut“ über die Welt heute sagen soll. Denn die Piraten, paramilitärische Gruppen, die anfangen Staaten aufzubauen, funktionieren sehr nach einer „Homo homini lupus“-Logik (Der Mensch ist den Menschen ein Wolf), die ich halt schon sehr oft gelesen und gesehen habe. Es gibt kein System, das grausam wäre, es ist die Welt an sich. Aber das sagt halt nicht so viel. Da wäre mir in Zeiten der drohenden Klimakrise ein Fokus auf den Kampf gegen eine feindliche Natur lieber gewesen. Das kommt aber vergleichsweise wenig vor, auch die Gründe für die Flut werden nur am Rande mal erörtert. Ich hätte es also besser gefunden, wenn es beim Woman versus Nature geblieben wäre, ohne die Piraten. So nah ich Myra oft kam, so plastisch mir ihre Sehnsucht nach Raw erschien, so blaß blieb mir manchmal ihre Sichtweise auf ihre Tochter Pearl. Das fand ich schade, obwohl es Teil des Mutter-Tochter-Konfliktes ist. „Pearl gehorchte und kniff den Mund zu einem dünnen Strich zusammen. »Ich hasse dich«, flüsterte sie so leise, dass ich es wegen des Windes kaum hören konnte. Mit zusammengebissenen Zähnen fädelte ich eine Schnur um das Regal sowie durch die Haltegriffe der Körbe…“ Dann gab es für mich noch einen größeren Logikfehler in Myras Taktik, die Besatzung des Schiffes, auf dem sie mit ihrer Tochter landet, zu Row zu lotsen: Die Möglichkeit, dass diese auf den Landgängen etwas über die Hintergründe mitbekommen, kommt nie vor. Dennoch: Ich habe „Die Welt nach der Flut“ mit Faszination gelesen und mit Thrill, weil mich Myras Suche wirklich berührt hat. „Die Sonne würde seine Haare trocknen, bis sie so weich waren wie der feine Flaum, den ein Baby vor der Geburt verliert.“ Die Sprache fand ich oft sehr schön und poetisch. Manchmal wurde es mir aber auch etwas zu pathetisch und manchmal schlossen sich Gewaltexzesse an. CN / Content Note: Es ist eine Dystopie, dennoch möchte ich eine Content Note anfügen: Suizid, sexualisierte Gewalt, Gewalt, Sklaverei Stellen wie diese fand ich wieder wunderschön: „»Du musst lernen, Karten zu lesen und Entfernungen zu berechnen.« »Wieso?« »Damit du überall hingehen kannst.«“ Fazit Eine intensive und spannende Lektüre, fast wie ein Psychothriller mit einigen Schwächen, die ich aber gerne weiterempfehle. 4 von 5 Sternen.