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Bris Buchstoff

Posted on 14.3.2020

Ist Vertrauen der leichteste Fehler, den man begehen kann? David Slaney sitzt. Im Gefängnis. Gemeinsam mit seinem besten Freund Hearn hat er zwei Tonnen Marihuanna per Segelschiff aus Kolumbien in seine Heimat Neufundland gesegelt – natürlich, um es dort gewinnbringend weiterzuverteilen. Doch die neufundländischen Fischer sind wachsam und lassen die ganze Unternehmung auffliegen. Hearn kommt auf Kaution frei und setzt sich ab. Slaney nicht. Er sitzt ein. Vier lange Jahre, bis er eine Chance sieht, aus dem Gefängnis zu flüchten. Es gibt wenige Möglichkeiten in den ausgehenden 70er Jahren für junge Menschen in Neufundland, ihr Auskommen zu haben. Die Fischerei, die für die Neufundländer immer schon die Haupteinnahmequelle darstellte, steht vor dem Aus. Slaney und Hearn sind jung, charmant bis charismatisch und keine skrupellosen Kriminellen, eher Abenteurer, die ihre Zukunft in die Hand nehmen wollen, kein großes Verbrechen darin sehen, zwei Tonnen Gras ins Land zu schmuggeln. Und genau wegen dieser Abenteuerlust und des Vertrauens in die eigene Unfehlbarkeit wollen sie es noch einmal versuchen, unter anderen Vorzeichen, eben ohne Fehler zu machen … Lisa Moore ist Neufundländerin, geboren in St. Johns, der ältesten Stadt Nordamerikas, und wuchs mit den Geschichten über die Waghalsigkeit junger Männer wie Slaney und Hearn auf. Obwohl sie etwas Verbotenes taten, schwebte in den Geschichten um die Verwegenen immer der Hauch von Anerkennung, vielleicht sogar Bewunderung mit. Denn Neufundland, das lange als die ärmste kanadische Provinz galt, ist rauh und unwirtlich. Die Menschen hart und doch sind sie angewiesen auf die Gemeinschaft der anderen. Eine wunderbare Darstellung der neufundländischen Lebensrealität ist Annie E. Proulx in ihrem Pulitzer-Preis gekrönten Roman Schiffsmeldungen gelungen. Aber auch Lisa Moore verleiht tiefe Einblicke, sowohl in die Zeit der 1970er Jahre, die in vielerlei Hinsicht Aufbruch versprachen, als auch in die (neufundländische) Welt. Weg mit alten Regeln und Ketten. Sexuelle Freizügigkeit bzw. Freiheit wurde möglich durch die „Erfindung“ der Pille, die Hippiebewegung brach mit allen möglichen Tabus. Doch auf der anderen Seite wurden bereits die ersten Überwachungsmöglichkeiten geschaffen, wie zum Beispiel die Satellitengesteuerte Ortung, die es über einen Sender möglich macht, ein Segelschiff auf den weiten Meeren nicht zu verlieren. Außer es gerät in einen Hurrikan, der den Sender zerstört. All das packt Lisa Moore in ihre Geschichte, in deren Zentrum vor allem der junge Slaney steht, der sich nicht brechen lassen will. Dazu ist er ein zu willensstarker Typ. Kennen lernt man ihn durch viele eingestreute Gedankenschnipsel, die klar machen, dass er kein schwerer Krimineller ist. Auch sein Freund Hearn, der den zweiten Coup in Freiheit vorbereitet, ist kein Krimineller. Beide sind sie einfach tatendurstig und loten Grenzen aus. Nur mit dem Unterschied, dass Hearn immer einen Anwalt zur Seite hat, der ihm das Gefängnis erspart und das obwohl Hearn bei der Planung nicht wirklich logisch oder vorsichtig vorgeht. Die Kohlen holt er ja nicht selbst aus dem Feuer, wenn zum Beispiel ein plötzlich aus den Nichts auftauchender Investor doch nicht so vertrauenswürdig sein sollte, wie es zunächst aussieht. Keine Frage, Slaney ist derjenige, der logischer denkt, strukturierter vorgeht und deshalb vielleicht auch der Ausführende sein muss. Aber er ist auch derjenige, der seinem besten und langjährigsten Freund trotz aller Warnungen und Zweifel bedingungslos vertraut. Weil Vertrauen für ihn eine Gabe ist, eine Entscheidung: „Oder Vertrauen war eine Tür im Kopf, die man auffliegen ließ. Man traf eine Entscheidung. Was immer da draußen ist: her damit! Und Zweifel war der Wind, der alles zuknallte. Bleib nicht an einem Ort. Lass dich nicht nieder. Das war der Zweifel.“ Auch Jennifer hat vertraut und zwar in Slaney. Jennifer, Juniper – seine große Liebe, die er zurückgewinnen will, die er besucht, die ihn liebt, aber einen anderen geheiratet hat. Weil sie Angst hatte, um sich und ihr Kind, nachdem der wahre Grund für Slaneys Weggang ans Licht kam. Sie würde mit ihm gehen, ließe er sich nicht noch einmal auf dieses waghalsige Unternehmen ein. Und so sehr Slaney sich nach Jennifer sehnt, so sehr ist einer der zehn Gründe dafür dabeizubleiben, dass ein Ausstieg für ihn hieße, sie hätten ihn gebrochen. Sie – die auf der anderen Seite des Gesetzes, haben einen eigenen Plan und in dem spielt Slaney eine wichtige Rolle. Lisa Moore versteht es meisterlich, Gedankensprengsel zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen. Das mögen manche Leser als wirr oder unstrukturiert empfinden, meiner Meinung nach ist es aber ein gekonnt und sehr bewußt eingesetztes Stilmittel. Und das in einer absolut klaren, schnörkellosen Sprache, die dennoch in keinster Weise abweisend oder kalt wirkt, sondern reinstes Kopfkino anwirft. Lisa Moore sagte in einem Interview, Neufundländer hätten alle eines gemeinsam: Egal, wie lange sie weg waren, sie wollten immer nach Hause, zurück in die Heimat und es habe ihr Kopfschmerzen bereitet, dass sie zunächst nicht wusste, wie sie dieses Problem für Slaney und all die anderen Figuren ihrer Romans lösen sollte. Letzendlich jedoch hatte sie eine Eingebung, die es ihr erlaubte, Ihre Protagonisten nach Hause zu bringen. Ein Glücksfall, der uns Lesern einen der besten Romane des Frühjahrs 2015 beschert hat. Unbedingte Leseempfehlung!

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