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Bris Buchstoff

Posted on 14.3.2020

Liebe ist der Grund, weshalb wir hier sind Selbst auf Dauer eher glücklos in der Liebe, schrieb F. Scott Fitzgerald häufig von ihr, vielleicht auch gerade deshalb von ihr so brillant: von der Sehnsucht. Der Sehnsucht, gesehen, erkannt und geliebt zu werden, wie man ist. Und von der Sehnsucht danach, dass dieses ursprüngliche, prickelnde Gefühl des sich ganz neu Verliebens nie aufhören möge. Ohne Kämpfe, Missverständnisse oder Verletzungen kommt Fitzgerald in den sieben Erzählungen, die der Diogenes Verlag neu übersetzt in einer wunderschönen Schmuckausgabe Ende des Jahres 2015 versammelt hat, nicht aus. Nicht eitel Sonnenschein ist sein Fokus, sondern das Menschliche. „Und so kam es, dass er sich mit Herz, Lizenz und Ultimatum bei ihr einfand, und keine fünf Minuten später war ein heftiger Streit zwischen ihnen entbrannt, ein überraschender offener Kampf, wie sie gegen Ende aller langen Kriege und Verlobungen aufzutreten pflegen. Er löste einen jener gespenstischen Momente aus, in denen zwei Verliebte jäh innehalten, einander kühl beäugen und sich fragen, ob nicht alles ein Missverständnis war.“ Dass die eine oder andere Geschichte schon in einem anderen Band mit weiteren großartigen Erzählungen Fitzgeralds erschienen ist, tut diesem Schmuckstück keinen Abbruch. Dachte ich, ich kenne seine Erzählungen in und auswendig, so haben sie sich mir bei der erneuten Lektüre frisch und aus anderer Perspektive gezeigt. Mehrfaches Lesen verstärkt in diesem Fall also nur das beglückende Gefühl, perfekte aber in keinster Weise oberflächliche Geschichten erzählt zu bekommen. Auch wenn mancher Leser sich vielleicht denken mag, die Geschichten hätten sich überholt, seien nicht mehr zeitgemäß, zu abgehoben in einer anderen Schicht angesiedelt, so sind sie tatsächlich aber völlig zeitlos, dringt man zu ihrem Kern vor. Denn Fitzgerald stößt immer in die Untiefen des Menschlichen vor – sei es ins Dunkel oder ins Lichte. Blickt direkt in die menschliche Seele, ohne in Stil und Sprache schwer zu werden. Federleicht wirft er den Lesern in kurzen Sentenzen Wahrheiten hin. Das könnte man als oberflächlich oder eben unzeitgemäß, als typisch Roaring Twenties und vergnügungssüchtig abtun, wenn da nicht viel mehr dahinter steckte. Er blickt hinter die Masken der Menschen, ohne sie komplett weg zu reißen und ihre Träger bloß zu stellen. Dennoch zeigt er, was er erblickt hat, ganz pointiert: Liebe, Verzweiflung, Wut, Sehnsucht – das was uns bewegt und antreibt. „Aber das hier ist weder eine Geschichte von zwei Leuten auf einer Insel, noch geht es hier in erster Linie um eine Liebe, die aus Abgeschiedenheit geboren wird. Es handelt sich vielmehr um die Beschreibung zweier Charaktere, und die idyllische Kulisse und dass die Palmen des Golfstroms die Umrahmung bilden, all das ist reiner Zufall. Die meisten von uns sind froh, dass sie am Leben sind und sicher vermehren, und kämpfen für das Recht auf diese beiden Dinge; die Zwangsvorstellung aber, man könne selbst sein Schicksal lenken, und der von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuch, es zu tun, das bleibt einer glücklichen – oder auch unglücklichen – Minderheit vorbehalten.“ Und das zeigt die wahre Meisterschaft F. Scott Fitzgeralds, der leider zu Lebzeiten nicht nur seinen kometenhaften Aufstieg erleben konnte. Die Schnelligkeit, die der Literaturbetrieb damals schon bediente, ließ es für den literarischen Star der Goldenen Zwanziger so aussehen, als hätten ihn alle vergessen. Dabei war es ihm so wichtig, funkelnde Spuren zu hinterlassen. Für die Ewigkeit. Seinen Figuren merkt man das an. Sie funkeln durch ihn und für ihn weiter. Ganz besonders beeindruckt hat mich eine Erzählung, deren „Zweck“ ich zunächst nicht sah. Mit Zweck meine ich hier, sich zu fragen, wieso sich ein Autor solch eine Situation ausdenkt. Fitzgerald erzählt darin von der blutjungen Ardita, die von ihrem Onkel zu ihrem eigenen Schutz davon abgehalten werden soll, einen ihm äußerst suspekten Mann zu heiraten. Onkel und Nichte sind gemeinsam auf Ihrer Yacht unterwegs. Eine Einladung eines Freundes des Onkels schlägt Ardita aus, will man sie dort doch mit dem Sohn des Freundes bekannt machen. Der Zweck ist ihr klar: Sie soll von ihrem Vorhaben, zu heiraten, abgebracht werden. So verweigert sie den Landgang. Kurz nachdem der Onkel das Schiff verlassen hat, erscheint ein kleines Boot. Darin sitzen musizierend mehrere Farbige und ein junger weißer Mann namens Curtis Carlyle, die sich gemeinsam als Ragtime-Band ausgeben und einige merkwürdig anmutende Säcke mit sich führen. Kurzerhand kapert die Band das Schiff und so geht die Reise los in ein Abenteuer, das anders endet, als gedacht. Fitzgerald zeigt auch hier wieder seine unerreichte Meisterschaft, indem er den Leser nicht zu sehr auf die Spur der Auflösung setzt, aber genügend Information einstreut, damit sich das triumphierende „hab ich es doch gewusst“ am Ende der verspielten und äußerst charmanten Erzählung zuverlässig einstellt. Vor allem die Freude am Spielen selbst ist es, die hier so bezaubert und ebenso umgesetzt ist. Und im Kern geht es genau um das, was wir uns sowohl von der Liebe als auch von der Literatur wünschen: Sie soll uns immer wieder aufs Neue überraschen. Selten habe ich das so anmutig umgesetzt empfunden – und tatsächlich in dieser großartigen Ausprägung nur bei Fitzgerald. „Diese unglaubliche Geschichte beginnt auf einem traumhaft blauen, wie blauseidene Damenstrümpfe changierenden Meer und unter einem Himmel, so blau wie die Iris von Kinderaugen. Von der westlichen Himmelhälfte her streute die Sonne goldene Plättchen auf die Wasserfläche; und wer ganz genau hinsah, konnte erkennen, wie sie von Wellenkamm zu Wellenkamm hüpften, um sich zu guter Letzt zusammenzuscharen und jenes breite Halsband von eitel Gold zu formen, aus dem am Ende eine halbe Meile voraus ein strahlend schöner Sonnenuntergang werden sollte.“ Liebe in der Nacht – die Titel gebende Geschichte selbst ist konzeptionell, atmosphärisch eine ganz andere, obwohl auch sie diese Sehnsucht zum Thema hat, die vielleicht nie erfüllt wird. Dennoch bleibt die Hoffnung darauf, diese Sehnsucht eines besseren Tages stillen zu können. „Natürlich kam es für einen armseligen Versager wie ihn, dessen Name ein bloßer Schatten war, nicht in Frage, sie zu sehen, doch es würde ihn ein wenig glücklicher machen, zu wissen, dass sie nichts vergessen hatte. Es verlieh seiner eigenen Erinnerung eine neue Dimension, wie eine jener stereoskopischen Brillen, die ein flaches Papierbild räumlich werden lassen. Es überzeugte ihn davon, dass er sich nichts eingebildet hatte – vor langer Zeit hatte er eine bezaubernder Frau bezaubert, und sie hatte es nicht vergessen.“ So unterschiedlich sie auch sind, gemeinsam haben diese sieben wunderbar zusammengestellten und großartig in die deutsche Sprache übertragenen Erzählungen für mich die Antwort auf die Frage, weshalb wir hier sind und was uns antreibt: Es ist die Liebe … „Sagt Ihnen denn tatsächlich jeder Mann, dem Sie begegnen, dass er Sie liebt?“ Ardita nickte. „Warum denn nicht? Das ganze Leben ist doch weiter nichts als ein Hinstreben zu und ein Wiederabstandnehmen von dem einen Satz ‚Ich liebe Dich‘.“

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